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Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Titel: Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)
Autoren: Anna Maria Scarfò
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Tür. Aber bei meiner Figur … ich habe zugenommen. Zwanzig oder dreißig Kilo, ich achte nicht einmal mehr darauf. Die Ärzte sagen, die Ursache dafür ist der Stress. Ich mag meinen Körper nicht mehr sehen, riechen, fühlen. Deshalb behandle ich ihn schlecht. Ich ignoriere ihn. Und ich demütige ihn auch.
    Und so vergeht mir auch bald wieder die Lust, ans Meer zu gehen.
    Journalisten sind gekommen. Einer von Chi l’ha visto, dieser Sendung, in der es um vermisste Personen und Verbrechensfälle geht. Ich habe mich mit ihm getroffen, aber ich wollte nicht vor die Kamera. Ab und zu gehe ich am Nachmittag zu meiner Anwältin Rosalba, um mit Ugo zu spielen. Oder ich fahre zu meiner Tante Tiziana nach Taurianova.
    Auch wenn ich raus will, verlaufen meine kleinen Fluchten immer entlang derselben Strecke San Martino – Taurianova und zurück.
    Die Carabinieri vom Begleitschutz sind ständig hier. Ich sehe das Dach ihres Wagens von meinem Fenster aus. Es sind immer wieder andere. Freundliche junge Männer. Einige wissen, warum ich in Gefahr bin, andere nicht. Keiner stellt Fragen. Meine Mutter kocht manchmal für sie mit.
    Soll es wirklich so enden?
    Waren die wirklich meine einzigen Freunde? Ich rede von denen, denen aus der Rotte. Denn jetzt, wo ich eigentlich frei sein sollte, bin ich isoliert, ich lebe zu Hause eingeschlossen, abgestempelt, ohne Urteilsspruch verurteilt.
    Jetzt, wo alle die Wahrheit kennen, ist es noch schlimmer. Als hätte ich einen Fehler gemacht.
    Und dann, wenn auch nur einen Moment lang, frage ich mich: Was war besser? Die Antwort ist immer dieselbe, und sie kommt sofort: So ist es besser, jetzt ist es besser. Ich leide, meine ganze Familie leidet, aber es ist immer noch besser. Das Gefängnis zu Hause ist immer noch besser als das Haus auf dem Land, ihre Körper, die Angst. Auch jetzt habe ich Angst, aber damals musste ich sie schweigend herunterschlucken, zwischen der Erde draußen in den Feldern und dem Dreck der Matten in ihren Wagen.
    Gegen die Angst von heute kann ich ganz offen angehen. Wir kämpfen mit den gleichen Waffen - oder doch fast.
    Ich lade Musik auf mein Handy. Ich schaue fern. Ich habe keine Lust, irgendetwas zu tun. Ich höre die Songs auf meinem Mobiltelefon. Oder besser gesagt, ich höre immer wieder den einen Song:
    Non basterà Settembre per dimenticare il mare,
    le cose, che ci siamo detti.
    Non siamo quegli amori che consumano l’estate,
    che promettono una mezza verità …
    Der September reicht nicht, um das Meer zu vergessen,
    all die Dinge, was wir uns gesagt haben.
    Wir gehören nicht zu den Liebenden, die sich mit dem Sommer verzehren, die eine Halbwahrheit versprechen …
    … Ich fühle, wie ich wie eine Puppe an Fäden mitten durch ein Gewitter laufe.
    Ich warte darauf, dass du kommst, um mich zu retten …
    Das Dorf
    Der Demonstrationszug schreit: »Nein zur Gewalt.« Er sucht das Gespräch, Solidarität, christliche Barmherzigkeit. Aber der Zug bezieht keine Stellung, er verteidigt nicht, er tritt für niemanden ein, er verlangt nicht nach der Wahrheit.
    Das Dorf fordert Frieden, Ruhe, fordert, dass alles bald vergessen sei.
    Das Dorf fühlt sich beleidigt und tuschelt.
    »An dem, was sie sagt, ist sicher was Wahres dran. Aber sie sagt nicht alles«, meint die erste Stimme.
    »Das geht uns nichts an, die Dinge sind nun einmal so gelaufen. Ich gehe meinen eigenen Weg«, fällt die zweite Stimme ein.
    »Und dann soll sie aufhören, sich zu beklagen und behaupten, dass wir gegen sie wären. Sie spielt das Opfer. Jetzt nutzt sie das aus. Dabei tut ihr keiner was. Keiner fasst sie an. Jetzt sind die Carabinieri für sie da. Wenn wir ihr etwas hätten antun wollen, hätten wir das früher gemacht … gleich danach«, die dritte.
    »Unsere Gemeinde wurde beleidigt, abgestempelt, diffamiert«, wiederholt der ganze Chor.
    Zischende Stimmen.

Ich bin Malanova
    I ch schaue mich nie im Spiegel an. Ich kann meinen Körper nicht ansehen. Viele Jahre lang hat er nicht mir gehört, sondern denen. Die haben ihn benutzt. Anfangs habe ich mich noch gewehrt. All die anderen Male habe ich in meinem selbst errichteten Panzer Schutz gefunden. Sie konnten meinen Körper nehmen, aber ich bin geflüchtet, immer, jedes Mal. Ich bin hinter meinen Blick geflüchtet, dorthin, wo sie mich nicht finden konnten. Ich bin so weit weg geflüchtet, dass ich mich selbst verloren habe.
    Und irgendwann konnte ich nicht mehr aus dieser Hülle heraus, die ich mir selbst geschaffen hatte. Vor mir
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