Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Titel: Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)
Autoren: Anna Maria Scarfò
Vom Netzwerk:
Piccolo, dem Täter bei der anderen allein begangenen Gewalttat, die Schlussfolgerung eine vollkommen gegenteilige ist, da Piccolo für zwei weitere Fälle gemeinschaftlich begangener Nötigung zu geschlechtlichen Handlungen verantwortlich ist, die von Amts wegen zu verfolgen sind.
    Als Strafmaß wird unter Beachtung von Artikel 27 der Verfassung (Der Angeklagte ist bis zur endgültigen Verurteilung als nicht schuldig zu betrachten) und Artikel 133 des Strafgesetzbuches für die Angeklagten Hanaman, Cianci, Cutrupi und Chirico eine Freiheitsstrafe von jeweils acht Jahren als angemessen erachtet, während für den Angeklagten Piccolo neben der Grundstrafe von acht Jahren auf eine zusätzliche Freiheitsstrafe von einem Jahr wegen der beiden im Fortsetzungszusammenhang begangenen Taten (acht beziehungsweise vier Monate für die weitere gemeinschaftlich begangene Straftat und die allein begangene) zu erkennen ist.
    Schließlich erklärt das Gericht, dass gegen Vincenzo Minniti keine gerichtlichen Schritte einzuleiten sind, da das Strafverfahren wegen fehlenden Strafantrags nicht eröffnet werden konnte.
    Der urteilsverfassende Richter Luca Colitta
    Der Vorsitzende Fulvio Accurso
    Schwierige Worte. Gesetze. Vielleicht lebensferne Sätze. Aber ich weiß: Das ist ein weiterer Schuldspruch. Das Gericht glaubt mir erneut. Ich wusste es eigentlich, aber ich habe trotzdem nicht darauf gehofft.
    Alle werden ins Gefängnis kommen. Die Anwältin lächelt, wie nur sie es vermag, am Ende eines Prozesses: mit den Augen und mit ihrer Hand, mit der sie meine fest umschließt.
    Als wir das Gericht verlassen, zündet sie sich eine Zigarette an, und wir stehen eine Weile nebeneinander auf der Treppe und schauen in den Tag hinaus.
    Ach, das habe ich ganz vergessen: Das Gericht klagt Don Antonio und Schwester Mimma wegen Falschaussage an.
    »Jetzt legen sie wahrscheinlich Berufung ein«, sagt Rosalba zu mir.
    »Ich weiß.«
    »Sie sind unschuldig bis zur dritten Instanz.«
    »Ich weiß.«
    »Wir müssen noch ein bisschen weiterkämpfen.«
    Rosalbas Geländewagen gleitet die Straße entlang.
    »Das Gericht hat uns einmal Recht gegeben, Avvocatessa , ich bin nicht müde. Als die mich draußen aufs Land gebracht haben, als ich immer ja gesagt habe, als ich nicht die Kraft hatte, mich zu wehren, und geglaubt habe, das sei mein Schicksal, da habe ich nicht reagiert, aber irgendwann war ich das leid. Doch man wird niemals leid, ›Nein‹ zu sagen. Man wird niemals leid, sich frei zu fühlen.«
    Das Dorf
    »Sie zieht das ganze Dorf in den Schmutz. Sie hat ja unsere ganze Solidarität, aber wir sind doch jetzt diejenigen, die dafür bezahlen müssen.«
    »Hier wohnen anständige Leute, wir sind nicht alle Vergewaltiger.«
    »Jetzt sagt man, das ist passiert, weil wir hier in Kalabrien sind; wir sollten unser Kalabrien lieber verteidigen, als es so in den Schmutz zu ziehen.«
    »Jeder muss sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Das ist besser so, denn sonst geschehen solche Dinge.«

Das Schutzprogramm
    W ir sind alle in der Küche. Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester und die Avvocatessa . Ich. Wir sitzen um den Tisch herum. Keiner sagt ein Wort.
    » Avvocatessa , möchten Sie einen Kaffee, ein Glas Wasser, irgendetwas?«, versucht es meine Mutter.
    »Nein … danke.« Rosalba antwortet knapp und winkt ab.
    Wieder macht sich Schweigen breit.
    Nach der Anzeige, dem Prozess und drei Urteilssprüchen bin ich immer noch nicht frei. Für mich hat kein neues Leben begonnen.
    Nein.
    Die Urteile gelten nur vor Gericht. Im Dorf herrscht ein anderes Gesetz.
    In unserer Gegend herrscht das Gesetz des Schweigens. Und daran habe ich mich nicht gehalten.
    Die Familien all derer, die ich ins Gefängnis geschickt habe, leben in meiner Straße. Via Garibaldi. Die anderen wohnen dreißig, fünfzig, hundert Meter entfernt.
    Die Drohungen sind immer hartnäckiger geworden. Wir verlassen das Haus nicht mehr. Wir zeigen alles bei den Carabinieri an. Todesdrohungen. Beleidigungen. Der totgeschlagene Hund. Das Blut auf der aufgehängten Wäsche. Die Telefonanrufe.
    Sie verfolgen uns. Das ist ihr Urteil. Das ist ihre Gerechtigkeit. Sie wollen uns aus dem Dorf vertreiben. Das sagen sie aber nicht mit Worten. Die Einwohner Kalabriens reden wenig, nein, sie reden gar nicht.
    »Rosalba, will man uns von hier fortschicken?«, schreie ich.
    Alle drehen sich zu mir um.
    »Anna Maria, die Lage ist sehr ernst. Der Staat bietet dir die Teilnahme an seinem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher