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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht
Autoren: Dan Simmons
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ihnen stand, daß Kevin barfuß war und blutete, und auch nicht, daß die anderen vier Jungs aussahen wie Schornsteinfeger in rußigen Fetzen. Plötzlich fing Lawrence an zu kichern, dann lachten sie alle, bis ihnen die Tränen aus den Augen quollen, hielten einander in den Armen und klopften sich auf die Schultern.
    Dann, als das Gelächter verstummte, bevor es in Weinen überging, zog Mike Kevin dicht zu sich und flüsterte: »Du hast gehört, wie jemand den Laster deines Dad gestohlen hat«, flüsterte er zwischen Hustenanfällen. Er hatte zuviel Rauch eingeatmet. »Du hast uns mit den Walkie-talkies gerufen und wir haben versucht, ihn einzuholen. Wir dachten, wir hätten Dr. Roon am Steuer gesehen. Dann ist er in die Schule gerast und das Feuer hat angefangen.«
    »Nein«, sagte Kevin dumpf und rieb sich die Schläfen, »so ist es nicht gewesen...«
    »Kevin!« sagte Mike, packte das rußige T-Shirt des Jungen mit einer blutigen Hand und schüttelte ihn.
    Kevins Augen wurden klar. »Jaaa«, sagte er langsam. »Jemand hat Dads Laster gestohlen. Ich bin rausgerannt, um ihn zu verfolgen.«
    »Wir konnten ihn nicht einholen«, sagte Dale.
    »Dann hat das Feuer angefangen«, sagte Lawrence. Er sah blinzelnd in die Flammen. Das Dach war eingestürzt, der Glockenturm verschwunden, die Fenster waren verbrannt und die Mauern stürzten ein. »Junge, und wie es angefangen hat.«
    »Wir wissen nicht, wer oder warum«, sagte Mike hustend und sank auf das Gras zurück. »Wir haben versucht, den Mann aus dem Laster zu ziehen, und dabei sind wir alle so zugerichtet worden. Aber sonst wissen wir von nichts.«
    Zwei Sirenen fingen an zu heulen - die Bürgerschutzsirene auf dem Bankgebäude warnte vor einem Tornado, der schon vorbeigezogen war, dazu gesellte sich die höhere, schrillere Sirene der einen halben Block südlich gelegenen Freiwilligen Feuerwehr. Scheinwerfer tauchten auf der Second Avenue und der Depot Street auf; dann hörten sie schwere Laster näherkommen. Leute erschienen auf den Gehwegen und an Straßenecken.
    Die sechs Kinder gingen auf die heimeligen Lichter der Häuser zu; die lodernden Flammen des brennenden Gebäudes warfen ihre Schatten weit über den Spielplatz.

42
    Am Freitag, dem 12. August 1960, wurde von Cape Canaveral aus der ballonförmige Kommunikationssatellit Echo erfolgreich gestartet.
    An diesem Nachmittag fuhren Dale, Lawrence, Kevin, Harlen und Mike mit ihren Fahrrädern zu Onkel Henry und Tante Lena, wo sie sich auf die hintere Wiese verzogen und Stunden damit verbrachten, am Bach nach der verschütteten Schmugglerhöhle zu graben. Es war sehr heiß.
    Cordie Cooke kam kurz vor dem Mittagessen und sah ihnen beim Graben zu. Ihre Familie war wieder in das Haus an der Straße zur Müllkippe eingezogen, und die Kinder in der Stadt tuschelten schon darüber, wieviel Zeit sie mit Mike und den anderen verbrachte.
    Das Graben ging sehr langsam vonstatten. Harlens Gips war vor zwei Wochen abgenommen worden, Kevins kleinerer Gips eine Woche danach, aber beide Jungs schonten die Arme, und äußer Harlen hatten alle Jungs heilenden Schorf auf den Handflächen. Sie gingen behutsam mit Spaten und Schaufel um.
    Kurz vor dem Essen - der Kombi von Dales und Lawrences Eltern war gerade eine Viertelmeile entfernt in die Einfahrt gebogen und hatte gehupt -, stieß Mikes Schaufel verblüffenderweise in Leere und Dunkelheit durch.
    Alte, kühle Luft strömte aus dem zwanzig Zentimeter durchmessenden Loch, das sie in den Hang gebohrt hatten. Lawrence, der ewige Optimist, hatte eine Taschenlampe mitgebracht. Sie machten das Loch ein bißchen größer und leuchteten mit der Taschenlampe hinein.
    Es war nicht nur ein Wühlmausloch. Ein Eingangsschacht, in dem staubige Flaschen und anderes, hastig herbeigeschafftes Füllmaterial glitzerten, schien zu einem breiteren, größeren Raum dahinter zu führen. Die Jungs konnten dunkles Holz erkennen, bei dem es sich um eine Kiste oder das Ende einer Bar handeln mochte. Eine dunkle Rundung war mit Sicherheit ein Autoreifen, möglicherweise der eines Modell A, welcher immer noch da unten verborgen war, wie Onkel Henry stets gesagt hatte.
    Die Jungs machten sich an dem Loch zu schaffen, vergrößerten es und warfen Erdklumpen und Steine in Richtung Bach hinunter, als sie plötzlich wie in stummer Übereinkunft innehielten. Cordie, die auf der anderen Seite des Bachs im Schatten saß, blickte auf. Ihre neuen Jeans von Meyer's Dry Goods sahen steif und frisch an ihr aus. Sie
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