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Sommer am Meer

Sommer am Meer

Titel: Sommer am Meer
Autoren: Rosamunde Pilcher
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Anwälte hießen Smart, Chirgwin und Williams. Zumindest waren dies die Namen auf dem Messingschild an der Tür, das so lange und gründlich poliert worden war, daß die Buchstaben ihre Schärfe verloren hatten und schwer lesbar waren. An der Tür befanden sich außerdem ein Messingklopfer und ein Messingknauf, glatt und schimmernd wie das Schild. Als Virginia den Knauf drehte und die Tür öffnete, trat sie in einen schmalen Flur mit gebohnertem braunem Linoleum und glänzendem cremefarbenem Anstrich, und sie hatte das Gefühl, daß sich hier jemand tagaus, tagein zu Tode schuftete.
    Vor ihr befand sich ein Glasfenster, wie ein altmodischer Fahrkartenschalter, mit der Aufschrift AUSKUNFT. Virginia entdeckte einen Klingelknopf, und auf ihr Läuten schnellte das Fenster hoch.
    „Ja?“
    Erschrocken erklärte Virginia dem Gesicht hinter dem Schalter, daß sie Mr. Williams sprechen wolle.
    „Haben Sie einen Termin?“
    „Ja. Ich bin Mrs. Keile.“
    „Einen Moment bitte.“
    Das Fenster klappte herunter, und das Gesicht verzog sich. Kurz darauf ging eine Tür auf, das Gesicht erschien wieder, zusammen mit einem gutgepolsterten Körper und einem Paar Beine, die in robusten Schnürschuhen endeten.
    „Bitte hier entlang, Mrs. Keile.“
    Obwohl das Haus der Anwaltskanzlei ganz oben auf dem Hügel stand, der Porthkerris begrenzte, hatte Virginia nicht mit dem herrlichen Blick gerechnet, der sich ihr nun bot. Mr. Williams' Schreibtisch stand mitten im Raum auf dem Teppich. Mr. Williams war soeben im Begriff, sich zu erheben. Und hinter Mr. Williams umrahmte ein großes Panoramafenster die ganze kunterbunte, reizvolle Altstadt von Porthkerris wie ein zauberhaftes Gemälde. Hausdächer - verblaßter Schiefer und weißgetünchte Kamine - schienen sich in planlosem Durcheinander den Hügel hinabzuziehen; hier und da leuchteten ein Fenstersims mit Geranien, eine mit fröhlich bunter Wäsche beflaggte Leine, die Blätter eines in dieser Gegend unvermuteten Baumes. Jenseits der Dächer glitzerte weit unten der Hafen im Sonnenschein. Boote schaukelten vor Anker, ein weißes Segel schoß aus dem Schutz der Hafenmauer heraus und strebte der schnurgeraden Horizontlinie zu, wo sich das Blau des Meeres und des Himmels trafen. Die Luft war erfüllt vom Kreischen der Möwen, der Himmel überzogen von ihren weißen Schwingen, und als Virginia dort stand, erklang von dem normannischen Kirchturm ein einfaches Glockenspiel. Dann schlug es elf Uhr.
    „Guten Morgen“, sagte Mr. Williams, und Virginia wurde bewußt, daß er es schon zweimal gesagt hatte. Sie riß sich von der Aussicht los und bemühte sich, ihre Aufmerksamkeit auf ihn zu konzentrieren.
    „Oh, guten Morgen. Ich bin Mrs. Keile, ich...“ Aber es war unmöglich. „Wie können Sie bei so einer Aussicht arbeiten?“
    „Deswegen sitze ich ja mit dem Rücken zum Fenster...“
    „Es ist atemberaubend.“
    „Ja, und einmalig. Wir werden oft von Künstlern gefragt, ob sie den Hafen von diesem Fenster aus malen dürfen. Man kann die ganze Anordnung der Stadt sehen, und die Farben sind immer anders und immer schön. Außer natürlich an Regentagen. Nun“, sein Verhalten wechselte abrupt, als sei er begierig, an die Arbeit zu kommen und keine weitere Zeit zu verschwenden, „was kann ich für Sie tun?“ Er bot ihr einen Stuhl an.
    Virginia setzte sich, bemüht, nicht mehr aus dem Fenster zu sehen und sich auf die anstehende Angelegenheit zu konzentrieren. „Vielleicht bin ich hier an der falschen Adresse, aber ich kann in der ganzen Stadt keinen Immobilienmakler finden. Ich habe in der Tageszeitung nach einem Haus gesucht, aber es gibt anscheinend nichts. Und dann entdeckte ich im Telefonbuch Ihren Namen und hoffte, daß Sie mir vielleicht helfen können.“
    „Ihnen helfen, ein Haus zu finden?“ Mr. Williams war jung, sehr dunkel, seine Augen interessierten sich offen für die attraktive Frau, die ihm an seinem Schreibtisch gegenübersaß.
    „Nur zur Miete.“
    „Für wie lange?“
    „Einen Monat... meine Kinder müssen in der ersten Septemberwoche wieder zur Schule.“
    „Ich verstehe. Eigentlich fallen solche Angelegenheiten nicht in unser Ressort, aber ich kann Miss Leddra fragen, ob sie etwas weiß. Es ist natürlich Hochsaison, und die Stadt ist randvoll mit Gästen. Sollten Sie trotzdem etwas finden, fürchte ich, daß Sie eine horrende Miete zahlen müssen.“
    „Das ist mir egal.“
    „Schön, warten Sie einen Moment...“
    Er ging hinaus, und Virginia hörte ihn
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