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Sommer am Meer

Sommer am Meer

Titel: Sommer am Meer
Autoren: Rosamunde Pilcher
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über dreißig Grad. Ich nehme an, Du schwimmst in Alices Pool, wie angenehm, nicht jedesmal zum Strand fahren zu müssen, wenn Du baden willst.
    Beiden Kindern geht es gut, sie lassen Dich grüßen. Nanny geht jeden Tag mit ihnen in den Park. Sie nehmen ihre Teemahlzeit mit und verzehren sie dort. Ich war heute morgen mit Cara bei Harrods, um ihr ein paar neue Kleider zu kaufen, sie wird so groß und war aus den alten herausgewachsen. Eines ist blau mit aufgenähten Blumen, das andere rosa mit ein bißchen Smokarbeit. Sie werden Dir bestimmt gefallen!
    Morgen gehen sie zu den Manning-Prestons zum Tee. Nanny freut sich auf einen ausführlichen Schwatz mit dem Kindermädchen, und Susan hat genau das richtige Alter für Cara. Es wäre nett, wenn sie Freundinnen würden.
    Grüße Alice von mir und gib mir Bescheid, wenn Du Dich entschließt, wieder nach London zu kommen, aber wir schaffen es großartig und möchten nicht, daß Du aus irgendeinem Grund Deinen Urlaub abkürzt. Du hattest ihn wirklich nötig.
     
    Mit lieben Grüßen
    Dorothea Keile
     
     
    Sie las den Brief zweimal, von widersprüchlichen Gefühlen hin und her gerissen. Doppeldeutigkeiten sprangen sie zwischen den akkurat geschriebenen, wohlgeformten Sätzen an. Sie sah ihre Kinder im Park, das versengte Londoner Gras in der Hitze vergilbt, niedergetreten und von Hunden besudelt. Sie sah den glühendheißen Morgenhimmel hoch über den Dächern, und das kleine Mädchen in Kleider gesteckt, die es weder mochte noch wollte; aber es war zu höflich, um sich zu wehren. Sie sah das große Haus der Manning-Prestons mit der Terrasse und dem gepflasterten Garten dahinter, wo Mrs. Manning-Preston ihre berühmten Cocktail-Parties gab und wohin Cara und Susan zum Spielen geschickt würden, während die Kindermädchen sich über Strickmuster unterhielten und darüber, was für ein Racker Nanny Briggs kleine Schutzbefohlene sei. Und sie sah Cara still dort stehen, versteinert vor Schüchternheit und von Susan Manning-Preston mit Verachtung behandelt, weil Cara eine Brille trug und Susan sie für ein Dummchen hielt.
    Und „wir schaffen es großartig“. Die Feststellung kam Virginia durch und durch zwielichtig vor. Wer war „wir“? Nanny und die Großmutter? Oder schloß es die Kinder ein, Virginias Kinder? Ließen sie Cara mit dem alten Teddy schlafen, von dem Nanny behauptete, er sei unhygienisch? Dachten sie immer daran, das Licht anzulassen, damit Nicholas nachts allein auf die Toilette gehen konnte? Und wurden sie jemals allein gelassen, unbeaufsichtigt, schmutzig, unordentlich, um in geheimen Winkeln im Garten zwecklose Spiele zu spielen, vielleicht mit einer Nuß oder einem Blatt und mit all den Phantasien, die in ihren kleinen, klugen, rätselhaften Köpfen waren?
    Virginias Hände zitterten. Sie ärgerte sich über ihre Reaktion. Nanny hatte sich um die Kinder gekümmert, seit sie auf der Welt waren, sie kannte ihre Eigenarten, und niemand wurde besser mit Nicholas' Wutanfällen fertig als sie.
    (Aber was bedeuteten diese Anfälle? Sollte er ihnen mit sechs Jahren nicht entwachsen sein? Von welchen Enttäuschungen wurden sie ausgelöst?)
    Und Nanny war zärtlich zu Cara. Sie nähte den Puppen Kleider, strickte den Teddybären Schals und Pullover aus Wollresten. Und sie ließ Cara ihren Puppenwagen in den Park schieben; sie gingen über die Kreuzung am Albert Memorial. (Aber las sie Cara die Bücher vor, die das Kind liebte? Die geliehenen Tage und Die Eisenbahnkinder und Der geheime Garten, Wort für Wort?) Liebte sie die Kinder, oder betrachtete sie sie schlicht als ihren Besitz?
    Ständig dieselben Fragen, die Virginia in letzter Zeit immer häufiger durch den Kopf gingen. Aber nie beantwortet wurden. In dem vollen Bewußtsein, dem Kern des Problems auszuweichen, verdrängte sie ihre Sorgen jedesmal mit einer Ausrede. Ich kann jetzt nicht darüber nachdenken, ich bin zu müde. In ein paar Jahren vielleicht, wenn Nicholas in die Vorschule kommt, vielleicht sage ich meiner Schwiegermutter dann, daß ich Nanny nicht mehr brauche; ich sage Nanny, es sei Zeit zu gehen, sich ein neues Baby zu suchen, für das sie sorgen kann. Und vielleicht bin ich im Moment einfach zu sentimental, das wäre nicht gut für die Kinder, sie sind bei Nanny besser aufgehoben; schließlich ist sie seit vierzig Jahren für Kinder da.
    Einem gewohnten Beruhigungsmittel gleich, waren die abgedroschenen Ausreden ideal, um Virginias Unbehagen zu beschwichtigen. Sie steckte den blauen
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