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Sommer

Sommer

Titel: Sommer
Autoren: Rainer Maria Rilke
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niedergehn,
ohne Eintracht mit dem Treiben neuer
fremder Dinge, die sie nicht verstehn;
und sie brennen wie ein stilles Feuer
leise aus und sinken in sich ein,
teilnahmslos dem neuen Abenteuer
und mit ihrem großen Blut allein.
    Werke I , 394f.
    Vor dem Sommerregen
    A uf einmal ist aus allem Grün im Park
man weiß nicht was, ein Etwas, fortgenommen;
man fühlt ihn näher an die Fenster kommen
und schweigsam sein. Inständig nur und stark
    ertönt aus dem Gehölz der Regenpfeifer,
man denkt an einen Hieronymus:
so sehr steigt irgend Einsamkeit und Eifer
aus dieser einen Stimme, die der Guß
    erhören wird. Des Saales Wände sind
mit ihren Bildern von uns fortgetreten,
als dürften sie nicht hören was wir sagen.
    Es spiegeln die verblichenen Tapeten
das ungewisse Licht von Nachmittagen,
in denen man sich fürchtete als Kind.
    Werke I , 520
    Die Sonnenuhr
    S elten reicht ein Schauer feuchter Fäule
aus dem Gartenschatten, wo einander
Tropfen fallen hören und ein Wandervogel lautet, zu der Säule,
die in Majoran und Koriander
steht und Sommerstunden zeigt;
    nur sobald die Dame (der ein Diener
nachfolgt) in dem hellen Florentiner

über ihren Rand sich neigt,
wird sie schattig und verschweigt –.
    Oder wenn ein sommerlicher Regen
aufkommt aus dem wogenden Bewegen
hoher Kronen, hat sie eine Pause;
denn sie weiß die Zeit nicht auszudrücken,
die dann in den Frucht- und Blumenstücken
plötzlich glüht im weißen Gartenhause.
    Werke I , 628f.
    D er Sommer geht schnell. Hier wenigstens scheint es einem, daß er mit großer Geschwindigkeit herankäme. Kannst Du Dir denken, daß die Avenue de l'Observatoire dicht und grün ist, so wie damals, als ich, von Viareggio zurückkehrend, dort auf und nieder ging. Und im Luxembourg ist lauter Schatten auf den oberen Terrassen, und die Kleider der Mädchen schimmern schon verhaltener und nuancierter unter den vollen Kastanien –: nicht mehr in ihrer ganz blanken frühlingshellen Weiße. Und hier im Garten ging gestern schon eine blaue Iris auf; die Erdbeeren blühen, auch die Johannisbeerbüsche draußen sah ich in Blüten stehen. Die kleinen neuen hellgrünen Wappenadler sind aufgepflanzt an den runden Feigengebüschen. Und nun seit gestern (nach vielen, vielen sommerwarmen, strahlenden Tagen) fällt, Tag und Nacht, ein linder, stiller Regen, dicht, sanft und voll, wie aus der Siebrose einer Gießkanne: comme tombant d'un arrosoir, hat man Lust zu sagen, weil das noch dunkler und voller klingt und fällt. Und das Grün wächst unter diesem Regen: nimmt zu und drängt sich, und da und dort tut sichs auf, ganz frisch und neu …
    Briefe I (Clara Rilke, 19. 4. 1906), 127f.
    L ieber Aretin,
    schon lange hole ich aus, um die Feder auf Sie anzusetzen, nun giebt eine Himmelserscheinung des gestrigen Abends den Ausschlag. Ich muss vorausschicken, es war, nach regnerischen und stürmischen Tagen, ein erster sonniger warmer, nicht ohne gleichmäßig heiteren Wind, einfach ein schöner Sommertag. Wir gingen auf der Landstraße zwischen den Feldern und Wiesen, und die Landschaft mit ihrem leichten Auf und Ab, das erst in den Fernen sich breiter auszuwägen scheint, gewährte die ausgiebigste Übersicht. Wir sahen die Sonne, etwa eine Stunde über ihrem eigentlichen Untergang, hinter einem dichtgrauen Wolkenvorbau verschwinden und gewahrten, wie sie nach und nach dessen Ränder aufleuchten und glänzen machte, während zugleich in dem reinen Himmel, den sie eben verlassen hatte, leichte, weiße Wolkengebilde gleichsam ausgeworfen wurden, schlanke Wolkensäulen, die sich langsam im Überfluss des Lichts verzehrten. Dort vor der Mitte war die graue Wolkenwand flach abgeschnitten, gleich einer Brüstung, zu beiden Seiten des Lichtabgrunds aber bäumte sie sich in zackigen und häuptigen, aufbegehrenden Formen empor. Das an sich war schon ein Schauspiel genug. Nun überraschte uns aber, bei unserem nächsten Hinschaun, die unvermuthlichste Steigerung. Das Abendlicht, offenbar von spiegelnden Dünsten im Hinterraum aufgefangen, richtete, wie ein Scheinwerfer, eine breite sanfte Strahlung über das ganze Gewölb des Himmels hin, wo sie, besonders gegen den dunkler blauen Nordhimmel, in einem völlig ausgezogenen Bogen abgegrenzt war; dieser Bogen führte den Blick an der anderen Seite bis in die Dünste des östlichen Horizonts, und dort entstand etwas wie ein schwaches Spiegelbild der gegenüberliegenden Szenerie. Nun konnte man erkennen, wie jene milde, aber außer
ordentlich bestimmte Lichtbahn
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