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Sommer

Sommer

Titel: Sommer
Autoren: Rainer Maria Rilke
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geschaukelten Ständern
atmen die Ara und wissen von ihren Ländern,
die sich, auch wenn sie nicht hinsehn, nicht verändern.
    Fremd im beschäftigten Grünen wie eine Parade,
zieren sie sich und fühlen sich selber zu schade,
und mit den kostbaren Schnäbeln aus Jaspis und Jade
kauen sie Graues, verschleudern es, finden es fade.
    Unten klauben die duffen Tauben, was sie nicht mögen,
während sich oben die höhnischen Vögel verbeugen
zwischen den beiden fast leeren vergeudeten Trögen.
    Aber dann wiegen sie wieder und schläfern und äugen,
spielen mit dunkelen Zungen, die gerne lögen,
zerstreut an den Fußfesselringen. Warten auf Zeugen.
    Werke I , 602
    Der Panther
    Im Jardin des Plantes, Paris
    S ein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
    Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,

ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
    Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
    Werke I , 505
    Der Löwenkäfig
    S ie geht hin und her wie die Wachposten draußen am Rand der Wälle, wo nichts mehr ist. Und wie in den Wachposten, ist Heimweh in ihr, schweres Heimweh in Stücken.
    Wie unten im Meer irgendwo Spiegel sein müssen, Spiegel aus den Kajüten gesunkener Schiffe, Stücke von Spiegeln, die ja natürlich nichts mehr enthalten: die Gesichter der Reisenden nicht, keine ihrer Gebärden; nicht die Art, wie sie sich umdrehten und so seltsam linkisch aussahen von hinten; nicht die Wand, nicht die Ecke, in der man schlief; noch weniger was von drüben und draußen schwankend hereinschien; nichts, nein. Aber wie doch eine Alge vielleicht, ein offen absinkender Pulp, das plötzliche Gesicht eines Fisches oder auch nur das Wasser selbst, das ziehende, geteilte, wieder zusammenkommende Wasser Ähnlichkeiten in jenen Spiegeln hervorruft, entfernte, schiefe, falsche, gleich wieder aufgegebene Ähnlichkeiten mit dem, was einmal war –:
    so liegen Erinnerungen, Stücke von Erinnerungen, bruchflächig, im Dunkel auf dem Grund ihres Blutes.
    Sie geht hin und her um ihn, den Löwen, der krank ist. Kranksein wird nicht besorgt in ihm und vermindert ihn
nicht; es schließt ihn nur ein. Wie er so liegt, die weich abgebogenen Pranken ohne Absicht, das hochmütige Gesicht mit der abgetragenen Mähne überhäuft, die Augen nicht geladen, ist er errichtet auf sich selbst zum Gedächtnis seiner Trauer, wie er einst (immer über sich hinaus) seiner Kraft Übertreibung war.
    Nun zuckt es noch da und dort in den Muskeln und spannt sich, da und dort bilden sich, zu weit von einander, kleine Stellen von Zorn; das Blut bricht sicher böse, mit einem Sprung, aus den Herzkammern aus und gewiß hat es noch die vorsichtigen erprobten Wendungen entschlossener Plötzlichkeit, wenn es in das Gehirn tritt.
    Aber er läßt nur geschehn, weil es noch nicht zu Ende ist und verwendet nichts mehr und nimmt nicht mehr teil. Nur ganz fern, wie weit von sich fortgehalten, mit dem weichen Pinsel seines Schwanzes malt er immer wieder eine kleine halbrunde Geste unbeschreiblicher Verachtung. Und sie geht so bedeutend vor sich, daß die Löwin anhält und hinsieht: beunruhigt, aufgeregt, erwartungsvoll.
    Dann aber nimmt sie ihren Gang wieder auf, den trostlosen lächerlichen Gang der Wachposten, der immer wieder in dieselben Fußtapfen zurückfällt. Sie geht und geht, und manchmal erscheint ihre zerstreute Maske, rund und voll, durchgestrichen vom Gitter.
    Sie geht wie Uhren gehen. Und auf ihrem Gesicht steht wie auf einem Zifferblatt, das man nachts anleuchtet, eine fremde, merkwürdig kurz angezeigte Stunde: eine furchtbare, in der jemand stirbt.
    Werke VI , 1135f.
    Die Aschanti
    (Jardin d'Acclimatation)
    K eine Vision von fremden Ländern,
kein Gefühl von braunen Frauen, die
tanzen aus den fallenden Gewändern.
    Keine wilde fremde Melodie.
Keine Lieder, die vom Blute stammten,
und kein Blut, das aus den Tiefen schrie.
    Keine braunen Mädchen, die sich samten
breiteten in Tropenmüdigkeit;
keine Augen, die wie Waffen flammten,
    und die Munde zum Gelächter breit.
Und ein wunderliches Sich-verstehen
mit der hellen Menschen Eitelkeit.
    Und mir war so bange hinzusehen.
    O wie sind die Tiere so viel treuer,
die in Gittern auf und
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