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Sommer

Sommer

Titel: Sommer
Autoren: Rainer Maria Rilke
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im Zenith am breitesten war und von beiden Seiten her gegen das Gegenbild zusammenlief. Ich weiß nicht, ob dieses Phänomen selten ist, aus unserem hiesigen kleinen Kreis hatte niemand je ein ähnliches beobachtet. Es stand, muss ich sagen, mit einem recht großen Gebahren im Firmament dieser bäurischen Landschaft, und ich wünschte die Menschen von früher herbei, die zumal in Kriegs- und Nothzeit ein solches Gebilde nicht hätten hingehen lassen, ohne es irgendwie in ihr Erlebnis, zwischen Hoffen und Fürchten, einzubeziehen. Nichts war volksthümlicher in diesem Augenblick als der, über Felder, Hänge und Gehöfte hin, sich gebärdende, ja recht eigentlich sich mittheilende Himmel. Die Landschaft lag so durchaus bewohnt unter ihm, und es war in der Tradition des menschlichen Auges als ein lesendes und gehorchendes diese Zeichen aufzunehmen. So grob und schließlich anmaßend der Fehler des Menschen seit jeher war, wenn er Erscheinungen der über ihn fort handelnden und träumenden Natur sich zum Schrecken oder zur Warnung nahm, irgendwie korrigierte dieser Fehler diese Ziellosigkeit unseres Gemüths und bestärkt die Zusammenhänge, auf die wir nun einmal hier angewiesen sind, so vorläufig sie sonst auch sein mögen.
    Aretin (19. 8. 1917), 64f.
    Das XVII. Sonett an Orpheus
    W o, in welchen immer selig bewässerten Gärten, an welchen 
Bäumen, aus welchen zärtlich entblätterten Blüten-Kelchen
reifen die fremdartigen Früchte der Tröstung? Diese
köstlichen, deren du eine vielleicht in der zertretenen Wiese
    deiner Armut findest. Von einem zum anderen Male
wunderst du dich über die Größe der Frucht,
über ihr Heilsein, über die Sanftheit der Schale,
und daß sie der Leichtsinn des Vogels dir nicht vorwegnahm und nicht die Eifersucht
    unten des Wurms. Giebt es denn Bäume, von Engeln beflogen, 
und von verborgenen langsamen Gärtnern so seltsam gezogen,  
daß sie uns tragen, ohne uns zu gehören?
    Haben wir niemals vermocht, wir Schatten und Schemen,
durch unser voreilig reifes und wieder welkes Benehmen
jener gelassenen Sommer Gleichmut zu stören?
    Werke I , 762
    E s war durchaus nichts vereinbart zwischen uns, aber da der Wagen einbog in den Park, konnte ich es nicht lassen, auszusteigen, vielleicht nur, weil ich nicht anfahren wollte, wie irgendein Fremder. Es war schon voller Sommer. Ich lief in einen der Wege hinein und auf einen Goldregen zu. Und da war Abelone. Schöne, schöne Abelone.
    Ich wills nie vergessen, wie das war, wenn du mich anschautest. Wie du dein Schauen trugst, gleichsam wie etwas nicht Befestigtes es aufhaltend auf zurückgeneigtem Gesicht.
    Ach, ob das Klima sich gar nicht verändert hat? Ob es nicht milder geworden ist um Ulsgaard herum von all unserer Wärme? Ob einzelne Rosen nicht länger blühen jetzt im Park, bis in den Dezember hinein?
    Ich will nichts erzählen von dir, Abelone. Nicht deshalb,
weil wir einander täuschten: weil du Einen liebtest, auch damals, den du nie vergessen hast, Liebende, und ich: alle Frauen; sondern weil mit dem Sagen nur unrecht geschieht.
    Werke VI (Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge), 826
    Begegnung in der Kastanien-Allee
    I hm ward des Eingangs grüne Dunkelheit
kühl wie ein Seidenmantel umgegeben
den er noch nahm und ordnete: als eben
am andern transparenten Ende, weit,
    aus grüner Sonne, wie aus grünen Scheiben,
weiß eine einzelne Gestalt
aufleuchtete, um lange fern zu bleiben
und schließlich, von dem Lichterniedertreiben
bei jedem Schritte überwallt,
    ein helles Wechseln auf sich herzutragen,
das scheu im Blond nach hinten lief.
Aber auf einmal war der Schatten tief,
und nahe Augen lagen aufgeschlagen
    in einem neuen deutlichen Gesicht,
das wie in einem Bildnis verweilte
in dem Moment, da man sich wieder teilte:
erst war es immer, und dann war es nicht.
    Werke I , 619f.
    Römische Fontäne
    Borghese
    Z wei Becken, eins das andre übersteigend
aus einem alten runden Marmorrand,
und aus dem oberen Wasser leis sich neigend
zum Wasser, welches unten wartend stand,
    dem leise redenden entgegenschweigend
und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand,
ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend
wie einen unbekannten Gegenstand;
    sich selber ruhig in der schönen Schale
verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis,
nur manchmal träumerisch und tropfenweis
    sich niederlassend an den Moosbehängen
zum letzten Spiegel, der sein Becken leis
von unten lächeln macht mit Übergängen.
    Werke I , 529
    Das XV. Sonett an Orpheus
    O
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