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Someone like you - Dessen, S: Someone like you

Someone like you - Dessen, S: Someone like you

Titel: Someone like you - Dessen, S: Someone like you
Autoren: Sarah Dessen
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hatten.
     
    Die Beerdigung fand am nächsten Tag statt, einem Donnerstag. Nach dem Frühstück lief ich barfuß und in abgeschnittenen Jeans über die Straße zu Scarlett hinüber, zwei schwarze Kleider in der Hand, zwischen denen ich mich nicht entscheiden konnte. Ich hatte erst an einer einzigen Beerdigung teilgenommen, der meines Großvaters in Buffalo; damals war ich noch so klein gewesen, dass irgendje mand für mich entschieden hatte, was ich anziehen sollte. Jetzt war das natürlich anders. Alles war anders.
    »Komm rein«, rief Marion, bevor ich überhaupt eine Chance hatte, an die Hintertür zu klopfen. Sie saß mit ihrem Kaffeebecher am Küchentisch und blätterte in einer
Vogue
.
    »Hallo«, sagte ich. Sie nickte mir zur Begrüßung zu. »Ist sie wach?«
    »Sie war praktisch die ganze Nacht wach«, antwortete Marion bekümmert, blätterte eine Seite um, nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. »Als ich aufstand, hockte sie auf dem Sofa. Sie braucht dringend ein bisschen Schlaf, sonst bricht sie noch zusammen.«
    Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Exakt im gleichen Wortlaut sprach Scarlett normalerweise über Marion; die beiden hatten die üblichen Mutter-Tochter-Rollen vertauscht. Ich kannte es gar nicht anders. Vor einigen Jahren hatte Marion unter schweren Depressionen gelitten und zu viel getrunken. Mehr als einmal kam Scarlett |37| nachts um zwei im Nachthemd zu uns rüber und klingelte an unserer Tür, weil sie Marion wieder einmal auf dem Gartenweg gefunden hatte, wo sie bewusstlos zusammengeklappt war. Auf ihrer Wange zeichneten sich die Unebenheiten der Steinplatten ab, auf die sie gefallen war. Mein Vater trug Marion ins Haus; meine Mutter setzte ihre gesammelten Therapeutentricks ein, um Scarlett zu beruhigen, die allerdings meistens gar nichts mehr sagte, sondern sich auf dem Stuhl neben Marions Bett zusammenrollte und bis zum nächsten Morgen bei ihr wachte. Mein Vater fand Scarlett »stoisch«; meine Mutter nannte ihr Verhalten einen »Zustand der Verdrängung«.
    »Hi«, ertönte eine Stimme. Ich blickte auf. Scarlett, in rotem T-Shirt und abgeschnittenen langen Männerunter hosen , das Haar vom Schlafen noch ganz verwuschelt, stand im Türrahmen. Als sie die beiden Kleider über meinem Arm sah, nickte sie verstehend. »Welches ziehst du an?«
    »Keine Ahnung«, antwortete ich.
    Sie kam näher, nahm die beiden Kleider, hielt sie nacheinander an mich hin und sah mich mit zusammengekniffenen Augen prüfend an. »Das kurze«, meinte sie schließlich entschieden und legte das andere Kleid neben der Obstschale auf die Küchentheke. »In dem mit dem runden Ausschnitt siehst du aus wie zwölf.«
    Ich betrachtete das Kleid mit dem runden Ausschnitt und versuchte mich zu erinnern, wann und wo ich es schon einmal getragen hatte. Scarlett hatte solche Dinge im Kopf, immer Scarlett, nie ich: Daten, Erinnerungen, Erfahrungen, die uns weiterbrachten. Ich vergaß alles, schaffte es kaum, von einer Woche zur nächsten zu denken. Scarlett dagegen behielt jede Kleinigkeit: was sie angehabt |38| hatte, als sie ihren ersten Kuss bekam, wie die Schwester des Jungen hieß, den ich im vorigen Sommer am Strand kennen gelernt hatte. Sie war unser gemeinsames Gedächtnis und Orakel in einer Person.
    Scarlett öffnete die Kühlschranktür, nahm die Milch heraus und durchquerte den Raum mit einer Packung Rice Crispies unter dem Arm, wobei sie sich im Vorbeigehen ein Schüsselchen aus der Spülmaschine schnappte. Sie setzte sich ans Kopfende des Tischs, Marion saß bereits zu ihrer Linken und ich ließ mich auf meinem Stuhl auf der rechten Seite nieder. Sogar in einer Familie, die so winzig war wie Marions und Scarletts, mit mir als Ehrenmitglied, gab es angestammte Sitzplätze und feste Gewohnheiten.
    Scarlett schüttete ein paar Rice Crispies in die Schüssel und nahm sich Zucker aus der Dose, die zwischen uns auf dem Tisch stand. »Möchtest du auch etwas?«
    »Nein danke, ich habe schon gefrühstückt.« Und zwar French Toast, von meiner Mutter persönlich zubereitet, nachdem sie schon frühmorgens am Gartenzaun gestanden und mit ihrer besten Freundin, Irma Trilby, einen kleinen Plausch gehalten hatte. Irma Trilby war berühmt für ihre Azaleen und ihr Mundwerk; letzteres hatte ich den ganzen Morgen lang durch mein geöffnetes Schlafzimmerfenster genießen können, während sie mit meiner Mutter tratschte. Offenbar kannte Mrs Trilby Mrs Sherwood ziemlich gut, weil sich beide in der Elternvertretung unserer Schule
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