Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Solaris

Solaris

Titel: Solaris
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
einer Kette von Relaisstationen. Von dort sollte sie von Funkboje zu Funkboje in milliardenkilometerweiten Sprüngen die Krümmung eines riesigen Bogens entlangflitzen, bis die letzte Relaisstation - ein Metallblock voll dicht aneinandergepackter Präzisionsinstrumente und mit gelängter Schnauze, der Richtantenne - die Nachricht nochmals sammelte und weiter in den Raum schleuderte, der Erde entgegen. Dann, nach dem Verstreichen von Monaten, sollte ein ebensolches Energiebündel, hinter sich drein eine Furche von stoßbedingten Deformationen des Gravitationsfeldes der Galaxis ziehend, von der Erde abgeschossen die Front der kosmischen Wolke erreichen, hindurchschlüpfen, längs der Perlenschnur aus langsam dahintreibenden Bojen immer wieder verstärkt, und mit unverminderter Schnelligkeit den Zwillingssonnen der Solaris entgegenflitzen.
    Der Ozean unter der hohen roten Sonne war schwärzer als jemals. Rostfarbener Nebel verschmolz seine Grenzlinien mit dem Himmel, dieser Tag war ausnehmend schwül, so, als verhieße er eines jener ungemein seltenen und unvorstellbar heftigen Gewitter, die
    einige Male im Jahr den Planeten heimsuchen. Es bestehen Grundlagen zu der Annahme, sein einziger Bewohner kontrolliere das Klima und führe diese Gewitter selbst herbei.
    Noch einige Monate lang sollte ich aus diesen Fenstern schauen, aus der Höhe die Spiele von weißem Gold und ermatteter Röte beobachten, die sich ab und zu in irgendeiner flüssigen Eruption, in der silbrigen Blase einer Symmetriade spiegelten, die Wanderschaft der schlanken, gegen den Wind geneigten Schneller beobachten, halbverwitterte, abbröckelnde Mimoide antreffen. Eines Tages sollten alle Visofonschirme von Licht zu schwirren anfangen, das ganze seit langem tote elektronische Signalsystem sollte aufleben, in Betrieb gesetzt durch einen Impuls, der aus einer Entfernung von Hunderttausenden Kilometern ausgesendet wurde, und das Nahen eines Metallkolosses ankündigen, der sich mit langgezogenem Donnern der Gravitoren über den Ozean herabsenken sollte: der Ulysses oder der Prometheus oder ein anderer der großen Fernkreuzer. War ich erst vom Flachdach der Station aus über das Fallreep hinaufgestiegen, so bekam ich auf den Decks die Reihen weiß gepanzerter, massiver Automaten zu Gesicht, die mit dem Menschen die Erbsünde nicht teilen und so unschuldig sind, daß sie jeden Befehl ausführen - bis zur völligen Zerstörung ihrer selbst oder eines Hindernisses, das sich ihnen in den Weg stellt - sofern ihr in den Kristallen oszillierendes Gedächtnis so programmiert worden ist. Dann aber sollte sich das Raumschiff in Bewegung setzen, geräuschlos, schneller als die Stimme, und hinter sich einen bis an den Ozean reichenden Kegel in Baßoktaven zerbrochenen Donnerns zurücklassen, und die Gesichter aller Menschen sollte einen Augenblick lang der Gedanke aufhellen, daß sie heimkehrten.
    Aber ich war nirgends daheim. Die Erde? Ich dachte an ihre großen, vollgestopften, tosenden Städte, worin ich untergehen sollte, mich verlieren, fast als hätte ich getan, was ich in der zweiten oder dritten Nacht zuvor hatte tun wollen, mich in den Ozean gestürzt, der schwer in der Finsternis gewogt hatte. - Im Menschengewimmel werde ich ertrinken. Ich werde ein schweigsamer und aufmerksamer und deshalb geschätzter Gefährte sein, ich werde viele Bekannte haben, sogar Freunde, und viele Frauen, und vielleicht sogar eine. Gewisse Zeit hindurch werde ich mich zwingen müssen, zu lächeln, mich zu verbeugen, aufzustehen, die Tausende von kleinen Tätigkeiten auszuführen, aus denen sich das irdische Leben zusammensetzt, endlich werde ich aufhören, sie zu spüren. Ich werde neue Interessengebiete finden, neue Beschäftigungen, aber ich werde mich ihnen nicht zur Gänze hingeben. An nichts und an niemanden, nie wieder. Und vielleicht werde ich in der Nacht dort hinauf schauen, wo am Himmel die Finsternis der Dunkelwolke wie ein schwarzer Vorhang den Glanz zweier Sonnen aufhält, und ich werde mich an alles erinnern, auch an das, was ich jetzt denke, und mit nachsichtigem Lächeln, worin ein wenig Trauer, aber auch Überlegenheit liegen wird, werde ich meiner Rasereien und Hoffnungen gedenken. Mich, den aus der Zukunft, halte ich durchaus nicht für etwas Schlechteres als den Kelvin, der bereit war, alles zu tun um eines Ziels willen, das »Kontakt« hieß. Und niemand wird das Recht haben, über mich abzuurteilen.
    Snaut kam in die Kabine. Er blickte um sich, dann sah er mich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher