Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Solaris

Solaris

Titel: Solaris
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
an, ich stand auf und ging zum Tisch.
    -    Wolltest du etwas?
    -    Du scheinst nichts zu tun zu haben…? - fragte Snaut blinzelnd. - Ich könnte dir etwas geben, weißt du, da sind gewisse Berechnungen, zwar nicht allzu dringend .
    -    Ich danke dir - ich lächelte - aber das ist unnötig.
    -    Bist du sicher? - fragte er und schaute aufs Fenster.
    -    Ja. Ich habe über Verschiedenes nachgedacht, und
    -    Mir wäre lieber, du würdest nicht so viel denken.
    -    Ach, da weißt du überhaupt nicht, worum es sich handelt. Sag einmal… glaubst du an einen Gott?
    Er warf einen raschen Blick auf mich.
    -    Was sagst du da? Wer glaubt heutzutage noch…
    Unruhe glomm ihm in den Augen.
    -    So einfach ist das nicht - sagte ich in gewollt leichtem Ton. Es geht mir nämlich nicht um den traditionellen Gott irdischer Glaubensvorstellungen. Ich bin kein Religionskundler und habe vielleicht nichts Neues erdacht, aber weißt du nicht zufällig, ob es jemals so einen Glauben gegeben hat… an einen gebrechenbehafteten Gott?
    -    Gebrechenbehaftet? - wiederholte er und zog die Brauen hoch. - Wie meinst du das? In gewissem Sinne war der Gott jeder Religion mit Gebrechen behaftet, weil mit menschlichen Merkmalen belastet, die nur vergrößert waren. Der Gott des Alten Testaments war zum Beispiel gierig nach Unterwürfigkeit, gewalttätig zu den Opfern, eifersüchtig auf andere Götter… die griechischen Götter mit ihrer Zanksucht, ihren Familienzwistigkeiten, waren nicht weniger nach Menschenart mit Gebrechen behaftet…
    -    Nein - unterbrach ich ihn. - Mir geht es um einen Gott, dessen Unvollkommenheit nicht aus der Schlichtheit seiner menschlichen Schöpfer folgt, sondern seinen wesentlichsten innewohnenden Zug darstellt. Das soll ein Gott sein, der begrenzt ist in seiner Allwissenheit und Allmacht, fehlbar beim Voraussehen der Zukunft seiner Werke, einer, den der Verlauf der von ihm geformten Phänomene in Entsetzen versetzen kann. Das ist ein… krüppelhafter Gott, der immer mehr begehrt, als er kann, und sich das nicht sofort klarmacht. Einer, der die Uhren konstruiert hat, aber nicht die Zeit, die sie abmessen. Naturgefüge oder Mechanismen, die bestimmten Zielen dienen; aber sie wuchsen über diese Ziele hinaus und verrieten sie. Und er hat die Unendlichkeit erschaffen, die von dem Maß seiner Macht, das sie hätte sein sollen, zum Maß seines grenzenlosen Versagens geworden ist.
    -    Einstmals, der Manichäismus - begann Snaut unschlüssig.
    Die argwöhnische Zurückhaltung, die er mir in letzter Zeit entgegengebracht hatte, war verschwunden.
    -    Das hat doch nichts mit dem Element von Gut und Böse zu tun - unterbrach ich ihn sofort. - Dieser Gott besteht nicht, außer in der Materie, und kann sich von ihr nicht befreien, er will das, und sonst nichts…
    -    Eine derartige Religion kenne ich nicht - sagte er nach kurzem Schweigen. - So eine war nie… nötig. Wenn ich dich recht verstehe, und ich fürchte, das tue ich, dann denkst du an einen evolvierenden Gott, der sich zeitlich entwickelt und heranreift, sich auf immer höhere Stufen der Macht erhebt, bis zum Bewußtsein ihrer Kraftlosigkeit? Dein Gott da, das ist ein Wesen, das in die Göttlichkeit eintrat wie in eine ausweglose Lage, und als es das begriff, überließ es sich der Verzweiflung. Ja, aber der verzweifelnde Gott, das ist ja der Mensch, mein Bester? Um den Menschen geht es dir… Das ist nicht bloß gestümperte Philosophie, das ist sogar gestümperte Mystik.
    -    Nein - antwortete ich starrsinnig - es geht mir nicht um den Menschen. Möglich, daß er in bestimmten Zügen dieser vorläufigen Definition entspräche, aber dann nur, weil sie voller Lücken ist. Dem Schein zum Trotz schafft der Mensch sich die Ziele nicht selbst. Die Zeit, in die er hineingeboren wird, zwängt sie ihm auf, er kann ihnen dienen oder sich gegen sie auflehnen, aber der Gegenstand der Dienstbarkeit oder Auflehnung ist von außen gegeben. Um in der Suche nach Zielen volle Freiheit zu erfahren, müßte der Mensch allein sein, und daraus kann nichts werden, denn ein Mensch, der nicht unter Menschen groß wird, kann nicht zum Menschen werden. Meiner… das muß ein Wesen sein, das keine Mehrzahl hat, weißt du?
    -    Ah - sagte er - daß ich nicht gleich…
    Und deutete mit der Hand zum Fenster hinaus.
    -    Nein - widersprach ich - auch er nicht… Höchstens als das, was in seiner Entwicklung die Chance der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher