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Solar

Solar

Titel: Solar
Autoren: Ian McEwan
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Rinderbrustbarbecue, drei riesigen Gewürzgurken und einem Berg Kartoffelsalat, dazu ein großer Pappbecher mit frischgezapftem Bier. Vom Umfang der Energieproduktion her war das Lordsburger Künstliche-Photosynthese-Kraftwerk recht eigentlich nicht der Rede wert, ein Spielzeug, nicht einmal ein richtiger Prototyp. Aber als er jetzt hier so saß, inmitten der blauen Rauchschwaden vom Hähnchengrill nebenan und der Country-Musik aus den an Pfosten angebrachten Lautsprechern, umschwirrt von den munteren Stimmen der Köche, die einander zuriefen, dass die vierundzwanzig Männer, die das »Lordsburg!«-Zeichen aufgestellt hatten, mit Heißhunger auf Rumpsteaks im Anmarsch seien, kam Beard sich vor wie im Zentrum des Weltgeschehens. Wie herrlich es war, nicht nur das Essen, sondern überhaupt hier zu sein, angenehm unbeachtet, im hintersten Winkel Amerikas, und zu wissen, dass der Lärm, das Versuchsfeld, die Medien und bald schon die Düsenjäger und Marschkapellen, ja die unmittelbar bevorstehende industrielle Revolution, dass all dies sein Vorhandensein an diesem Ort zwischen palmillas und verdorrtem Gras den Ideen verdankte, die er vor acht Jahren auf einem siffigen Sofa in einer Kellerwohnung fünftausend Meilen von hier entfernt entwickelt hatte.
    Er biss gerade in das vierte Stück saftiges Fleisch hinein, als etwas geschah, das er seit seiner Schulzeit nicht mehr erlebt und schon damals nicht hatte ausstehen können. Plötzlich war jemand in seinem Rücken, und ehe er sich's versah, bedeckten verschwitzte Hände seine Augen, man nahm seinen Kopf in die Zange, und eine Stimme flüsterte ihm ins Ohr: »Rat mal, wer das ist?«
    Da ein Finger der linken Hand unangenehm auf die nördliche Hemisphäre seines Augapfels drückte, wagte er nicht, sich zu wehren. Seine Zunge war mit Fleisch beladen, vor Schreck bekam er den Bissen nicht hinunter. Dennoch brachte er undeutlich hervor: »Tarpin?«
    »Ist das deine Chinesin?« Fröhlich lachend gab sie ihn frei.
    Darlene, natürlich. Sein Groll verflüchtigte sich, während er, hastig kauend, um den Mund freizubekommen, auf die Beine kam und sie umarmte. Darlene musste man einfach lieben. Herzensgut und übergewichtig, wie sie war, hatte diese aus Nebraska gebürtige Frau ihr Leben lang als Kellnerin gearbeitet, war dreimal verheiratet gewesen und hatte vier erwachsene Kinder, die sie offenbar anbeteten oder jedenfalls brauchten, denn sie riefen ständig an; vor zwölf Jahren hatte sie New Mexico entdeckt und ihren ursprünglichen Namen Janet abgelegt. Da sie sechs Jahre lang mit einem hispanischen Lkw-Fahrer in einem Wohnwagen am Südrand des Städtchens gelebt hatte, bevor sie ihn vor die Tür setzte, sprach sie fließend Spanisch.
    Nun hatte sie sich auf Michael Beard verlegt. Als sie zum ersten Mal miteinander im Bett waren, hatte sie ihm anvertraut, er sei ihr allererster älterer Mann. Ihr erster Mann, der deutlich älter war als sie, hatte sie sich korrigiert. Er mochte nicht daran denken, dass ihre Wahlmöglichkeiten genau wie seine offenbar geringer wurden. Immerhin war er hier in der Gegend so etwas wie ein Volksheld, den die Handelskammer in der East 2nd Street für die Schaffung neuer Arbeitsplätze geehrt hatte. Er war nicht die schlechteste Wahl. Darlene wiederum erfüllte Beards alten Wunschtraum von den abenteuerlichen Niederungen des Lebens. Freimütig, wie Amerikaner darin sind, bekundete sie ihre Klassenzugehörigkeit, indem sie den ganzen Tag lang mit offenem Mund Kaugummi kaute, unaufhörlich, auch beim Sprechen, was sie nur kurz unterbrach, wenn sie ihn küsste. Sie las weder Bücher noch Zeitungen, ja nicht einmal Zeitschriften, hatte nie eine Kirche von innen gesehen, mochte gesundes Essen genauso wenig wie Beard, und wenn sie Ketchup auf ihren Teller schüttete, ließ sie dabei gern Ronald Reagans berühmte Erkenntnis vom Stapel, Ketchup sei ein Beigemüse. Dass sie nicht religiös war, fand Beard enttäuschend. Es passte nicht zu ihrem Typ. Aber da war sie eisern. Sie sei nicht mal Atheistin, sagte sie, die Sache sei ihr so egal, dass sie nicht mal Gottes Existenz leugne. Der käme bei ihr einfach »nicht vor«.
    Sie hatten sich kennengelernt, als Beard eines Nachmittags bis zum Beginn eines Treffens noch etliche Stunden totzuschlagen hatte und aus Lordsburg herausgefahren war; dabei war er auf einen Weg geraten, der ihn zu der Geisterstadt Shakespeare führte, wo er, leicht gelangweilt und von ziellosem sexuellem Begehren geplagt, in der
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