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Solange du schläfst

Solange du schläfst

Titel: Solange du schläfst
Autoren: Antje Szillat
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nachdenklich. »Hört sich französisch an.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Er spricht auf jeden Fall ohne Akzent. Nur seine Hautfarbe ist ein bisschen dunkler.«
    Das Interesse meiner Mutter war geweckt.
Schriftstellerkrankheit
nannte mein Vater das. Claudia witterte einfach immer und überall eine Story.
    »Ein farbiger Junge, der mutterseelenallein auf einem abgelegenen Hof lebt. Wie spannend.« Ihre Augen funkelten vor Aufregung.
    Ich stöhnte genervt. »Was du dir schon wieder zusammenreimst. Außerdem ist er nicht richtig dunkelhäutig. Und dass er hier mutterseelenallein lebt, habe ich überhaupt nicht gesagt.«
    »Coloured.«
    »Was?«
    »In Afrika bezeichnet man Mischlinge als
Coloureds.«
    »Mischlinge. Wie sich das anhört!«, blaffte ich sie an.
    »Ich habe doch nur gesagt, dass man in Afrika …«, begann Claudia, sich zu verteidigen.
    Doch ich verspürte nicht die geringste Lust, mir noch mehr von diesem Quatsch anzuhören. Ich trieb Rashun mit einemsanften Druck in die Flanken an. Augenblicklich verfiel er in einen kräftigen Galopp.
    »Hey, warte!«, rief Claudia mir noch hinterher, aber ich tat so, als hörte ich es nicht.

2.
    Jérôme hatte noch nie ein Mädchen getroffen, das ihn so umgehauen hatte wie Anna. Zunächst waren ihm vor allem ihre langen dunklen Haare und die bernsteinfarbenen Augen aufgefallen. Wie Schneewittchen, hatte er gedacht und sich in dem Moment noch nicht mal über diesen lächerlich-romantischen Vergleich gewundert. Ihre Stimme hatte so warm und weich geklungen wie Musik. Und dann dieses Lächeln. Es ging ihm direkt ins Herz, hatte etwas Magisches.
    Natürlich war ihm ihre Verlegenheit aufgefallen und es hatte ihn sogar ein kleines bisschen amüsiert. Doch viel mehr hatte er sich darüber gefreut, weil er es als Zeichen deutete, dass es ihr ähnlich erging wie ihm.
    Liebe auf den ersten Blick …
    Mann, Jérôme, jetzt komm mal wieder runter!
    Aber wie sie mich angeschaut hat … das war wie ein plötzlicher Schlag in die Magengrube, so mitten rein. Als würde ich von einer Sekunde auf die andere ins Weltall katapultiert und könnte auf einmal nach den Sternen greifen …
    Oh shit, jetzt wurde es wirklich
zu viel
mit der Gefühlsduselei.
    Aber ein kleines bisschen fühlte es sich tatsächlich so an, als ob er nach einem Stern greifen würde. Einem Stern namens Anna. Seit er vor einigen Monaten zu seiner Tante Ella und ihrem Mann Udo gezogen war, hatte es nicht gerade viele Lichtblicke gegeben, vielmehr empfand er alles um sich herum als ein gleichförmig dunkles Grau. Nur zu überstehen, wenn man sich so weit wie möglich von allem abkapselte und sein eigenes Ding durchzog. Und jetzt war da plötzlich dieses Mädchen aufgetaucht …
    Jérôme seufzte tief und stieß das breite Hofgatter auf. Flöckchen, Udos sogenannter Wachhund, kam wild bellend auf ihn zugerast. Eigentlich hieß die Altdeutsche Schäferhündin Flora, aber Jérôme nannte sie immer Flöckchen. Er fand, dass der Name viel besser zu ihr passte.
    Ellas Kopf erschien am Küchenfenster. Als sie Jérôme entdeckte, hob sie kurz die Hand und war auch schon wieder verschwunden.
    »Na, du alte Kläffmaschine«, begrüßte Jérôme die Hündin und versuchte, ihr den Kopf zu tätscheln, was nicht ganz einfach war, weil sie aufgeregt um ihn herumsprang. »Ist ja gut. Nun beruhig dich mal.«
    Aber Flöckchen beruhigte sich in der Regel erst, nachdem sie den Grund für ihre Begeisterung mindestens zwanzigmal umrundet hatte.
    »Sie freut sich eben. Ist doch schön, wenn ein Lebewesen das so uneingeschränkt kann«, sagte Ella häufig.
    Udo sah das allerdings ganz anders. Der Hund sollte sich nicht freuen, er sollte den Hof bewachen.
    Tja, schoss es Jérôme bitter durch den Kopf, das war nicht die einzige Sache, bei der sich seine Tante und sein Onkel nicht einig waren.
    Die Haustür wurde aufgezogen. »Flora, Schluss jetzt! Ab auf deinen Platz!«, schimpfte Ella. Augenblicklich verstummte Flora und trottete mit hängendem Kopf davon.
    Na super, dachte Jérôme. Im Hause Reineke herrschte mal wieder dicke Luft.
    »Jérôme, sag bitte Udo Bescheid, dass das Essen auf dem Tisch steht. Er ist hinten im Schweinestall.«
    Ellas Tonfall duldete keinen Widerspruch.
    Seufzend ließ Jérôme seine Tasche mitten auf dem Hof sinken und ging zum Geräteschuppen hinüber. Von dort aus gelangte man auf einen kleinen Zwischenhof, der früher als Auslauf für die Schweine gedient hatte, aber nun, da sich kein Vieh mehr
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