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Solange du schläfst

Solange du schläfst

Titel: Solange du schläfst
Autoren: Antje Szillat
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auf dem Hof befand, ziemlich verwahrlost war. Aus den uneben liegenden Bodenplatten waren mittlerweile richtige Stolperfallen geworden. Moos und Unkraut sprossen aus den Fugen.
    Als Jérôme den ehemaligen Auslauf betrat, fühlte er sich fast erdrückt, so beengt war es hier. Mit wenigen Schritten hatte er den Innenhof überquert und öffnete die Seitentür zum alten Schweinestall.
    »Udo!«, rief Jérôme, ohne einen Fuß in den Stall zu setzen. »Udo! Bist du hier?«, versuchte er es noch einmal lauter, nachdem er keine Antwort bekommen hatte.
    Stille.
    Ella musste sich getäuscht haben. Hier war Udo auf keinen Fall. Vielleicht war er weggefahren und hatte ihr mal wieder nichts davon gesagt.
    Jérôme schüttelte den Kopf und ging dann über den Innenhof zurück.
    »Ich hab Udo nicht gefunden«, erklärte er, als er kurz darauf die Küche betrat.
    Ella stand mit dem Rücken zu ihm und rührte in einem Topf auf dem Herd. Schnaufend drehte sie sich zu ihm um. Ihre Augen waren gerötet. Der Mund ein dünner Strich.
    »Dann essen wir eben allein«, bestimmte sie und nahm den dritten Teller und das Besteck vom Küchentisch. »Setz dich!«
    Nur zögerlich folgte Jérôme ihrer Anweisung. Eigentlich hatte er gar keinen Hunger. Aber Ella sah so überreizt aus, dass er keine Lust verspürte, sich mit ihr anzulegen.
    Er hockte sich auf seinen Stuhl und beobachtete schweigend, wie Ella den Teller geräuschvoll zurück in den Schrank räumte, das Besteck in die Schublade knallte und den großen Topf auf den Küchentisch stellte. Dann setzte sie sich und schaute Jérôme mit einer Mischung aus Erwartung und Verärgerung an. »Was ist los, muss ich dir jetzt etwa auch noch auffüllen?«
    Jérôme zuckte mit den Schultern. »So richtig Hunger hab ich eigentlich nicht«, gab er zu und wünschte sich im nächsten Moment, er hätte den Mund gehalten.
    »Na prima«, legte Ella auch schon los. »Hier macht jeder, was ihm gerade gefällt. Und ich muss springen. Aber wehe, das Essen steht mal nicht pünktlich auf dem Tisch und die Herren schieben Kohldampf …«
    Jérôme wollte etwas erwidern. Doch Ella hob abwehrend die Hände. »Nein, spar dir deine müden Ausreden. Dann schütt ich den ganzen Mist eben ins Klo.« Schon war sie aufgesprungen und wollte nach dem Topf greifen.
    Jérôme kam ihr zuvor. Fest umklammerte er beide Griffe und rief: »Nun reg dich mal ab! Eine Kleinigkeit werd ich schon essen.«
    Einige Sekunden lang starrte Ella Jérôme über den Topf hinweg in die Augen. Dann senkte sie den Blick und ließ sichschwerfällig auf ihren Stuhl zurücksinken. Sie sackte regelrecht in sich zusammen. So als ob man aus einem zu prall aufgeblasenen Ballon alle Luft herausgelassen hätte.
    »Was ist denn passiert?«, fragte Jérôme halbherzig, weil er es im Grunde gar nicht wissen wollte, aber andererseits ahnte, dass sie genau diese Frage von ihm erwartete. Solche Gespräche mit seiner Tante hatten noch nie etwas gebracht und dieses hier würde bestimmt keine Ausnahme bilden.
    »Udo war wieder die ganze Nacht unterwegs«, sagte Ella.
    Jérôme fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. »Hast du ihn gefragt, wo er gewesen ist?«
    »Natürlich hab ich das«, erklärte sie gereizt. »Aber du weißt doch ganz genau, dass er mir darauf keine Antwort gibt.«
    Klar wusste Jérôme das. Die Frage hätte er sich schenken können. Dass Udo regelmäßig abends verschwand und erst in den frühen Morgenstunden wieder auftauchte, war seit Wochen der Grund dafür, dass der Haussegen schiefhing.
    Jérôme konnte gar nicht sagen, wie satt er das ständige Theater hatte. Anfangs hatte er noch versucht, zwischen den beiden zu vermitteln. Bis Udo ihm einmal deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass diese Art von Einmischung ihm ganz und gar nicht passte. »Halt die Schnauze, Jérôme! Du hast keinen Funken Ahnung von unserem Leben und unseren Problemen. Nicht jeder ist wie du mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden«, hatte er ihn angebrüllt und dabei ausgesehen, als ob er ihm am liebsten an die Gurgel gegangen wäre. Und Ella hatte wortlos danebengesessen.
    Seitdem wollte Jérôme mit dem ganzen Mist nichts mehr zu tun haben, der zwischen Ella und Udo ablief.
    Eine Sache beschäftigte ihn allerdings schon. Er erinnerte sich daran, dass er vor ein paar Tagen ein Telefonat mitbekommenhatte, das ganz sicher nicht für seine Ohren bestimmt gewesen war. Es hatte eine Theorie in ihm aufgeworfen, die so absurd war, dass er sie selbst nicht
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