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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition)
Autoren: Petra Durst-Benning
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wieder bestiegen hatte. Nur was? Mit banger Vorahnung fuhr sie los.
    Die Luft war feucht und schwer, und das Einatmen tat Jo in der Lunge weh. Es war eine trübe Nacht, nicht so mondhell wie die vergangene. Kein Stern stand am Himmel, das Licht ihrer Gaslampe leuchtete die Straße, die ölig schwarz glänzte, nur spärlich aus. Zwischen Vordingborg und Tureby war die Ostküste Seelands wenig besiedelt.
    »Es liegt Regen in der Luft«, sagte Irene, die links neben ihr fuhr.
    Jo nickte. Das war es! Das Wetter war bisher so durchgängig schön gewesen, dass sie an Regen gar nicht mehr gedacht hatte.
    Um sich gegenseitig auf der düsteren Straße nicht zu gefährden, beschlossen Jo, Irene und Luise Karrer, die ebenfalls mit von der Partie war, einen Abstand von mehreren Metern einzuhalten und sich an der Spitze abzuwechseln. Irene war die Erste, die vorn fahren wollte. Nach ihr kam Luise an die Reihe. Dumpf radelte Jo ihren Vereinskameradinnen hinterher. Bei jeder noch so kleinen Bewegung, die sie im Sattel machte, hätte sie vor Schmerz aufschreien können. Durch die vielen Stunden auf dem Rad hatte sie sich wund gerieben, die zarte Haut brannte wie Feuer. Ihre Knochen schmerzten wie die einer alten Frau, ihre Lider waren schwer, die Augen brannten vor Müdigkeit. Die Nacht, die sie sonst so liebte, dehnte sich in erschreckender Unendlichkeit vor ihr aus.
    Zuerst hörten sie ein Brausen. Es wurde vom Meer ans Land getragen. Dann kam der Wind auf. Er peitschte gegen die Ostküste Seelands und erwischte die Radfahrerinnen diesmal von rechts. Bald hatte Josefine das Gefühl, so windgebeugt zu sein wie die bizarr geformten Bäume. Anfangs versuchte sie, sich dagegen anzustemmen, was viel Kraft kostete und nichts brachte. Resigniert fuhr sie also in einer Schräglage weiter, das linke Bein stärker belastend als das rechte. Sie hörte Irene, die auch ganz schief auf ihrem Rad hing, einen Fluch ausstoßen und musste unwillkürlich grinsen.
    Jo war gerade dabei, Luise an der Spitze ihrer Dreiergruppe abzulösen, als sie die ersten Regentropfen auf dem gesamten Körper spürte. Jeder Tropfen kalt und schmerzhaft auf ihrer gereizten Haut. Bald waren ihre Finger eiskalt und steif, war die Umklammerung des Lenkers die reinste Qual.
    »Sollen wir uns irgendwo unterstellen?«, schrie sie gegen Wind und Regen an.
    »Ja, aber wo?«, schrie Irene zurück.
    Jo kniff die Augen zusammen, um sie vor dem Regen zu schützen. Irene hatte recht, in der kargen Dünenlandschaft waren weit und breit keine Scheune, kein Haus, nicht einmal ein großer Baum zu sehen.
    »Vielleicht ist es besser, wenn wir die nächste Zeit eng beieinanderfahren!«, rief Luise Karrer und kam an Josefines linke Seite. Irene zog nach und fuhr auf die rechte Straßenseite. »Jetzt bloß aufpassen, dass wir nicht auch noch zusammenprallen«, sagte sie und spuckte eine nasse Haarsträhne aus, die zwischen ihre Lippen geraten war.
    Schweigend fuhren sie durch den Regen. Das eintönige Klatschen, der Wind, ihre müden Knochen, ihre Lungen, die brannten … Bald waren sie bis auf die Unterwäsche durchnässt.
    Ich kann nicht mehr. Josefine wusste nicht, ob sie den Satz gedacht oder laut gesagt hatte. Sie schaute zuerst zu Luise, dann zu Irene hinüber. Beide fuhren mit sturem Blick und verbissener Miene neben ihr her.
    Der Satz war wohl doch nur in ihrem Kopf gewesen. Aber dort war er gefährlich genug …
    »Ich kann nicht mehr …«
    Josefines Kopf fuhr erschrocken herum.
    »Doch, du kannst!«, zischte Irene.
    Mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht fuhr Luise weiter.
    Jo war zum Heulen zumute. »Meine Brust, das Atmen tut mir so weh …« Am liebsten hätte sie sich irgendwo in den nassen Sand geworfen und wäre nie mehr aufgestanden.
    »Glaubst du, mir geht es besser?«, schnauzte Irene sie an. »Reiß dich verdammt noch mal zusammen!«
    Jo nickte jämmerlich.
    Gegen sechs Uhr begann es zu dämmern. Mit dem ersten Tageslicht hörten Wind und Regen auf, als hätte jemand einen Riegel umgelegt. Die drei erschöpften Frauen schauten sich an. Wollte der liebe Gott sie zum Narren halten?
    Nach zwei Stunden kam endlich Kopenhagen in Sicht. Kopenhagen – Start und Endpunkt ihres Rennens, aber erst, wenn sie eine weitere Schleife nördlich von Kopenhagen gefahren waren!
    Was hätte sie darum gegeben, wenn jetzt schon alles zu Ende wäre, dachte Jo. Zum ersten Mal seit all den Jahren, in denen sie Rad fuhr, hatte sie die Lust am Fahren verloren. Sie wollte nur noch, dass die
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