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Sokops Rache

Sokops Rache

Titel: Sokops Rache
Autoren: Birgit Lohmeyer
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sehen ließ. Ein paar Autoschiebereien, der eine oder andere Versicherungsbetrug. Dann schuf das Ende der DDR das gelobte Gebrauchtwagenland und sie konnten kaum so schnell schrottreife Altautos heranschaffen, wie sie ihnen in Ostdeutschland aus den Händen gerissen wurden. Gegen harte D-Mark, versteht sich. Als die Nachwendeeuphorie abklang und der Markt für überteuerte Schrottwagen schrumpfte, verlegte sich Sokop senior darauf, hochwertige Luxuslimousinen erst zu verkaufen und dann von seinem Sohn wieder zurückstehlen zu lassen. Gedankenlos war Henry damals zum Kriminellen geworden. Er war nicht wirklich erwachsen gewesen, war sich aber abgebrüht und unverwundbar vorgekommen, voller Begeisterung für die abenteuerliche  Ganovenwelt . Niemals hätte er für diese armselige Gemeinschaft mit dem Vater sämtliche Moral über Bord werfen dürfen. Er hat dabei alles unwiederbringlich verloren. Alles bis auf seine letzte Aufgabe.
    Die Wohnungstür schwingt mit einem Quietschen auf, gibt den Blick auf einen abgewetzten moosgrünen Teppichboden frei. Es ist düster in dem kaum meterbreiten Durchgang.
    »Mm, sehr rustikal.« Weller betritt hinter ihm den eigenartig niedrigen Flur, der seinen Namen aufgrund seiner Kürze nicht verdient, und klopft mit dem Fingerknöchel gegen die Wandpaneele. Ebenso wie Henry hat er instinktiv den Kopf eingezogen. Groß, wie sie beide sind, stoßen sie beinahe an die holzverkleidete Decke. »War wohl ein Heimwerker am Werk.«
    »Der Schwager der Frau des Anstaltssozialarbeiters.« Henry lächelt wie entschuldigend. »Der hat gerade geheiratet und seine Angetraute wollte auf keinen Fall in dieser verrufenen Gegend wohnen. Mir macht das nichts aus. Bin ja selbst so etwas wie ein Asozialer, als Ex-Knacki.« Er überblickt von seinem Standort aus die gesamte Wohnung. Links ein völlig leeres Zimmer mit zwei Fenstern zur Straße. Rechts ein breiterer, fensterloser Durchgang – mit viel gutem Willen als weiteres Zimmer zu bezeichnen, in dem ein roh gezimmertes Hochbett steht. Und am Ende, mit einer Tür zum Hinterhof, die Küche. Ein paar Einbauschränke, ein Herd. Immerhin. Gleich gegenüber: das winzige Bad. Weller öffnet dessen Tür, wittert hinein und schließt sie sofort wieder. Dann stapft er in die Küche, schaut in die Schränke, beugt sich hinunter zum altertümlichen Kühlschrank. Henry steht derweil wie festgenagelt in der Mitte der Wohnung, in dem fensterlosen düsteren Raum, als könne der ihm Schutz gewähren vor all dem, was auf ihn einbrandet, und verfolgt jeden Schritt seines Bewährungshelfers. Es ist nicht die in den kargen Räumen hängende Tristesse, die ihn erstarren lässt; was nun so beängstigend nah vor ihm steht ist das, war er vorhat, was er in den endlos-ereignislosen Tagen, Wochen, Monaten und Jahren als letzten Lebenssinn zu begreifen gelernt hat: die Pflicht zu töten.
    Weller ruft von der Küche aus: »Also, ich schlage Folgendes vor: Du wendest dich so schnell wie möglich an die ARGE; die sitzen in der Mühlenstraße. Dort haben sie einen Sachbearbeiter für Erstanträge nach der Haftentlassung, Herrn Winter. Von ihm bekommst du einen Gutschein für eine Erstausstattung der Wohnung. Möbel, Geschirr, Töpfe, Gardinen. Das ganze Pipapo. Damit gehst du dann einkaufen.« Er macht eine Geste, welche die gesamte Wohnung umschließt. »So kannst du ja nicht hausen.« Er überlegt einen Augenblick, sieht, dass Henry zögert. »Versteh mich nicht falsch. Ich will mich nicht aufdrängen. Aber wenn es für dich okay ist, begleite ich dich bei den Einkäufen, zeige dir die günstigen Läden. Es gibt hier zum Beispiel ein Sozialkaufhaus. Da bekommt man teilweise erstaunlich gute Sachen. Ich kann auch einen kleinen Transporter besorgen für die größeren Stücke. Ruf mich einfach an, wenn du Unterstützung gebrauchen kannst.« Er geht zur Wohnungstür. »Da du mir ja leider keinen Kaffee anbieten kannst, wie ich dem Zustand deiner Küche entnehme, verabschiede ich mich jetzt.« Er lässt seine Pranke auf Henrys Schulter fallen, grinst unter seinem Seehundsbart und dann ist er fort.
    Henry lauscht dem Starten und Sich-Entfernen des BMW-Motors nach, lehnt sich erschöpft gegen die Wand des winzigen Flurs.
    Tag eins hat begonnen.
    * * *
    Er schließt seine Wohnungstür hinter sich ab – einmal, zweimal – und ist erstaunt über den Genuss, den ihm dies verschafft.  Wenn ich nicht aufpasse, werde ich noch zum Schlüsselfetischisten.  Auf dem Gehweg vor dem Haus bleibt
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