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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen
Autoren: Alper Canıgüz
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Haus beim Murmelspielen. Die beiden sind unzertrennlich. Da gibt es doch diesen herrlichen Ausdruck »Klappergestell« – genau so ein Kind ist Celal. Er hat ein ungesundes, käsebleiches Gesicht, eine schrille Stimme und Borstenhaare. Sein Vater ist von Beruf Kammerjäger. Ich weiß zwar nicht, was er jagt, aber er fährt mit seinem Motorrad zur Arbeit. Der Hänfling ist auch Motorradfan. Er hat jede Menge Prügel eingesteckt, weil er an dem Ding herumgeschraubt hat. Cemalettin ist eines der dreihundertfünfzigtausend Kinder der Familie, die die Hausmeisterstelle im Güzelyayla innehat. Stets zieht sich eine nasse Spur von seiner Oberlippe zu seinen Nasenlöchern. Man könnte meinen, drinnen befände sich ein Schneckennest. Er lebt mit seinen Eltern und Geschwistern in dem winzigen Haus, das sie aus dem Schuppen im Hinterhof umfunktioniert hatten. Der Hinterhof allerdings ist klasse. Die Reihe kleiner Abstellkammern, die vom Eingang aus gesehen rechts beginnen und den Hof nach hinten begrenzen, erhöhen die Spannung bei unseren wilden Kriegsspielen. Wir haben uns nicht wenig ausgetobt auf diesem zwei Meter hohen Bau, den die Anwohner als Kohlelager benutzten, bevor auf Erdgas umgestellt wurde. Ein ähnlicher, kleinerer Bau aus vier Kammern erstreckt sich gleich von Cemalettins Haus auf der linken Seite zur Mitte des Gartens hin. Vom Dach der Kohlekammer aus den Stacheldraht auf der gegenüber liegenden Mauer zu überwinden und in den Nachbargarten zu gelangen, der mit Unkraut überwuchert war, wie man es von ungepflegten Gräbern kennt und das stellenweise so hoch stand, wie ich groß war, war ein Kinderspiel. Seit einer Weile allerdings gehörte dies nicht mehr zu unseren Lieblingsaktivitäten. Der Grund für unsere Zurückhaltung war der merkwürdige Mann, der vor einigen Monaten in das dreistöckige Holzhaus mitten in dem riesigen Hof gezogen war, das wir Kinder übertrieben »die Villa« nannten: Ruhan Bey. Er war ein grobschlächtiger Typ um die vierzig, grauhaarig, mit Schnauzbart. In seinem Anzug, der aussah, als gehörte er ihm nicht, sprang er in aller Herrgottsfrühe in seinen uralten Lieferwagen, der hinten mit einer Plane bespannt war, und kam spät in der Nacht zurück. Die Hälfte seiner Fenster hatte er mit Zeitungspapier und Pappe verkleidet, anstatt sie zu verglasen. Auch beobachtete keiner von uns jemals, dass ihn jemand besuchte oder so. Er war uns also in jeglicher Hinsicht nicht ganz geheuer, und wir kamen instinktiv überein, dass es wohl das Beste sei, uns von ihm fernzuhalten.
    Celal der Hänfling und Cemalettin waren die Früchtchen in unserer Nachbarschaft. Letztes Jahr, als wir neu eingezogen waren, nahmen sie mich häufig auf die Schippe. Mir machte es ehrlich gesagt nicht viel aus. Sie hielten mich für ein Muttersöhnchen. Vielleicht hatten sie ja recht. An einem Tag sah ich, wie die beiden Ertan, den Dorfdeppen unseres Viertels, schikanierten. Sie stießen eklige Schreie aus, sprangen um den Armen herum und piekten ihn überall mit Stöcken. Bei dem Anblick platzte mir der Kragen. »Verdammt, lasst ihn in Ruhe!«, brüllte ich. Celal der Hänfling sah mich an und kreischte zurück: »Mann, was geht dich das an? Bist du sein Anwalt oder was?«
    »Ich brauche von niemandem Geld zu nehmen, um zu sagen, was ich für richtig halte«, konterte ich. Oder so ähnlich. Tja, ich kann schon ganz schön polemisch werden, wenn’s drauf ankommt. Meine Antwort hatte natürlich nur zur Folge, dass ich mich in ihren Augen komplett zur Schwuchtel machte. Cemalettin kam auf mich zu und fuchtelte mit seinem Stock in Richtung meiner Rippen. Den Rüpel am Arm packen und auf den Boden schleudern war eins. Dann sank ich auf die Gurgel des Hänflings nieder. In weniger als einer Minute hatte ich sie beide vermöbelt. Ich weiß zwar nicht, wo ich die Fähigkeit her habe, aber ich bin verdammt gut im Prügeln. »Gebt ihr auf?«, fragte ich mit je einem meiner Knie in ihren Rücken. »Wir geben auf«, antworteten sie, und ich erhob mich von ihnen. »Ich will nicht noch einmal sehen, dass ihr euch an Ertan vergreift«, meinte ich. Wie Schafe glotzten sie mir ins Gesicht. Kaum hatte ich mich umgedreht, da stürzten sie sich auf mich. Ich befreite mich aus ihren Händen und verdrosch diese Halunken noch einmal. Diesmal verbog ich ihnen die Handgelenke, bis ihnen die Tränen kamen, und brachte sie, bevor ich sie losließ, dazu, zu schwören, dass sie nie wieder eine solche Schweinerei begehen würden. Nach diesem
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