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Söhne der Erde 01 - Unter dem Mondstein

Söhne der Erde 01 - Unter dem Mondstein

Titel: Söhne der Erde 01 - Unter dem Mondstein
Autoren: Susanne U. Wiemer
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Sie vielleicht heute noch das auslösende Ereignis beobachten.«
I
    Sein schmales, bronzenes Gesicht glich noch in manchen Zügen dem wilden Erdenjungen, von dem sein Volk abstammte. Das Haar fiel ihm schwarz und glatt in die Stirn und auf die nackten Schultern, in den saphirblauen Augen spiegelten sich tanzende Flammen.
    Stumm starrte Charru von Mornag in die wabernde Wand, die die Grenze seiner Welt bildete. Oft hatte er sich gefragt, was wohl dahinter sein mochte. Aber es gab keine Möglichkeit, das zu erfahren. Nicht für die Lebenden. Vielleicht hatten es diejenigen, die den reinen Tod in den Flammen suchten, in ihren letzten Sekunden gesehen?
    Charru dachte daran, daß auch er diesen Weg wählen würde, wenn seine Zeit kam.
    Aber bis dahin war es noch weit. Er war jung. Zwanzig Regenzeiten, und er würde noch oft den schwarzen Nebel sehen, der die blaue Kuppel verdunkelte, und die herabstürzenden Wassermassen rauschen hören, die das Tiefland in einen Sumpf verwandelten. Als die schwarzen Nebel das letzte Mal ausblieben, war er noch nicht geboren gewesen. Die Schlacht an der großen Mauer, die Eroberung des Tempeltals, der lange, bittere und ruhmreiche Kampf - das alles kannte er nur aus den Erzählungen der Alten.
    Er kniff die Lider zusammen, weil seine Augen von dem grellen Licht schmerzten.
    Die Flammen brannten lautlos, und er konnte den leisen, monotonen Gesang in seinem Rücken hören, den Sterbegesang. Sein Vater war es, der starb: Erlend, Fürst des Tieflands, König von Mornag. In der Steinhalle hatten sich die Sippen versammelt und warteten. Die letzten Stunden verbrachte ein Mann des Tieflands von jeher allein, und nur seinem Sohn oder dem nächsten Angehörigen seiner Wahl war es gestattet, bei dem Sterbenden zu wachen.
    Immer noch starrte Charru von Mornag in die wabernden Flammen.
    Seine Gedanken schweiften. Er sah die große Mauer vor sich und die Kuppel des Tempels, die in leuchtenderem Blau die Kuppel des Himmels wiederholte. Jenseits des Tempeltals gab es nur noch das Tal des Todes, in dem der schwarze Fluß entsprang. Der Fluß, der nach dem Glauben der Priester in die Ewigkeit führte und der sich in kochendem Nebel verlor, wo Wasser und Feuer einander berührten.
    »Charru ! Komm zu mir, mein Sohn!«
    Die schwache Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. Sein junges bronzefarbenes Gesicht verhärtete sich, als er sich langsam umwandte. Er wußte, worum sein Vater ihn bitten würde. Er hatte es immer gewußt, seit die Boten der Priester über die Ebene geritten waren, um das neue Ritual zu verkünden.
    Nein, nicht neu, verbesserte er sich in Gedanken.
    Die Leute des Tempeltals hatten ihre Toten schon immer auf Flöße gebettet und den schwarzen Fluß hinuntergeschickt. Charru preßte die Lippen zusammen. Die Vorstellung, daß der schwarze Fluß in die Ewigkeit führte, ließ ihn erschauern, und doch fühlte er den brennenden Wunsch, einmal diesen kochenden Nebel mit den Blicken durchdringen zu können, um zu sehen, was dahinter lag.
    Mit ruhigen Schritten trat er auf die Gestalt zu, die an dem Steinblock lehnte.
    Ein weiter blauer Mantel hüllte den ausgemergelten Körper seines Vaters ein. In dem schlohweißen Haar glänzte der Königsreif, die Augen, tief in die Höhlen gesunken, schimmerten wie blaue Saphire. Immer noch zeigte das Gesicht die alte Kühnheit, obwohl die Haut eingetrocknet und zerfurcht war und sich wie vergilbtes Pergament über den Knochen spannte.
    »Komm näher, mein Sohn! Die Zeit ist da. Noch heute Nacht wird sich meine Seele mit der Flamme des Lebens vereinen.«
    Charru kniete nieder.
    Ein dumpfer Schmerz preßte ihm die Brust zusammen, als er den Kopf beugte. Die dürre, knochige Hand des Sterbenden berührte sein Haar, die Stimme war nur noch ein kraftloses Flüstern.
    »Ein reiner Tod...Errichtet den Scheiterhaufen für mich und übergebt meinen Leib den Flammen...Versprich es!«
    »Ich verspreche es.«
    Charrus Faust schloß sich um den Griff des Schwertes an seiner Seite. Er fühlte, wie die knochige Hand über seinen gebeugten Nacken glitt und herabfiel. Die Gestalt in dem blauen Königsmantel erschlaffte, und in der Stille hörte Charru nur noch das Hämmern seines eigenen Herzens.
    *
    Lange verharrte Charru reglos und blickte in das Gesicht des Toten.
    Der Schmerz spiegelte sich nur in den Augen des jungen Mannes, seine Züge waren hart, wie aus Bronze gegossen. Noch vermochte er nichts anderes zu empfinden als diesen Schmerz über den Verlust, aber er wußte,
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