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Socken mit Honig

Socken mit Honig

Titel: Socken mit Honig
Autoren: Gabriele Kowitz
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klare Ansage: „Jetzt wird
gegessen!“ Das Strahlen ist aus ihrem Gesicht gewichen. Vollkommen erstaunt,
dass ich es wagen kann, mich ihrem Willen nicht zu beugen, macht sie den Mund
auf, um doch noch los zu brüllen. Sie holt tief Luft und … Diesen Moment nutze
ich, um ihr den Löffel in den Mund zu schieben. „Claudia, schluck runter“,
mahne ich, aber das ist nicht mehr nötig. Vielmehr ist der Mund schon leer und
wieder auf. Ich füttere weiter. Ob Rührei, Spinat oder Kartoffelbrei, alles
wird brav aufgegessen. Zum Nachtisch darf sie Eis haben, das sie alleine isst.
Ich putze einstweilen das Esszimmer. Danach gehen wir gemeinsam in die
Badewanne, entfernen die Essensreste, bepusten uns mit Badeschaum, planschen
mit Badeentchen. Wir sind die besten Freunde.
    Am nächsten Tag fahren wir zum Ferienpark, verbringen eine
schöne Woche mit meinem Mann und den Kindern. Claudia entdeckt für sich Pommes
und Pizza, Gurke und Möhre, Würstchen und Schnitzel. Von Reis-Tomate ist nie
mehr die Rede. Als Inga und Johannes ihre Tochter wieder abholen, können sie es
kaum glauben, dass sie zu einem Allesesser geworden ist. Den Klaps auf den Po
verschweige ich vorsichtshalber. Sie sind uns unendlich dankbar. Nachdem ich
ihnen von Claudias Bronchitis erzählt habe, wundern sie sich zunächst, warum
ich sie nicht angerufen hatte, sehen aber sogleich ein, dass ein solcher Anruf
das Kind auch nicht gesund gemacht, sondern lediglich die Eltern beunruhigt
hätte, und sind noch dankbarer. „Dürfen wir dich nächstes Jahr wieder buchen?“
fragen sie mich zum Abschied. „Ja, ja, Dauda beiß Hund nich, nur nuppern!“,
stimmt Claudia zu. Warum nur habe ich das Gefühl, dass ihre Begeisterung mehr
Ben und weniger mir gilt?

Das interessiert mich nicht die Bohne
    Meine Tochter kommt aus der Schule nach Hause und hat
richtig gute Laune. Sie sprudelt los: „Wir haben eine echt coole Hausaufgabe.
Wir müssen Paula züchten.“ „Paula?“ frage ich. „Wer ist Paula?“ „Das verrate
ich nicht. Unsere Lehrerin hat gesagt, dass wir uns alleine um Paula kümmern
sollen, ohne unsere Eltern. Wir müssen gut auf Paula aufpassen, sie täglich
versorgen. Außerdem sollen wir ein Tagebuch führen und aufschreiben, wie sich Paula
entwickelt.“
    Oh je! Wer ist Paula? Meine Gedanken bewegen sich sprunghaft
von Regenwürmern und Schmetterlingen über Frösche und Hühner bis hin zu Mäusen 
und Kaninchen. Völlig verantwortungslos von der Lehrerin, Kinder  aus dem
vierten Schuljahr damit zu beauftragen, Tiere zu züchten. Sonnenklar, dass es
sich dabei um eine Hausaufgabe handelt, denn welche Lehrerin möchte schon im
Klassenraum  25 Regenwürmer beherbergen? Welchen pädagogischen Sinn sollte es
haben, Regenwürmer zu züchten? Schließlich verbringen sie den größten Teil
ihrer Zeit unter der Erde, Beobachtung wäre schwierig. Ich stelle mir vor, wie
sich die Kinder ihre Nasen an großen Einmachgläsern, gefüllt mit Erde und Regenwürmern
plattdrücken. Die Entwicklung junger Regenwürmer dauert, soweit ich weiß,
ungefähr drei Wochen, ein recht langer Zeitraum, gemessen an der Geduld, die
Viertklässler aufbringen mögen, wenn es darum geht, einen Erfolg zu verbuchen.
Nein, um Regenwürmer kann es sich nicht handeln. Dann schon eher um Frösche.
Die Entwicklungsphasen vom Laich über die Kaulquappen bis hin zu fertigen
Fröschen sind gut zu beobachten und könnten täglich dokumentiert werden. Aber
wo sollen die Tiere beherbergt werden? Sollen sie wie im Märchen mit uns am
Esstisch sitzen? Warten sie am Ende noch darauf, geküsst zu werden, damit sie
von ihrem Zauber erlöst werden, um fortan als Prinzen zu leben? Nicht
auszudenken, wie groß der Presserummel wäre, wenn plötzlich in einem Dorf am
Niederrhein 25 junge Prinzen lebten. Beim Bäcker oder beim Fleischer, egal wo
man hinmöchte, es gäbe keinen Parkplatz mehr, Paparazzi verfolgten uns auf
Schritt und Tritt … Nein, nein, Frösche können es auch nicht sein. Nun bin ich
bei Mäusen angekommen, zu denen sich augenblicklich unsere Katze gesellt.
Bestimmt ein großer Spaß für die Katze, der Zuchterfolg dürfte allerdings
extrem zweifelhaft sein, keine guten Voraussetzungen, um eine Hausaufgabe zu
erfüllen.
    „Wer ist denn Paula?“, frage ich Julia erneut, bevor ich an
die Kaninchen denke, die unserer Katze wohl ebenfalls schmecken könnten. „Lass
dich überraschen!“, fordert meine Tochter vieldeutig. „Du wirst schon sehen.“
Sie entschwindet in ihr Zimmer.
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