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So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)

So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)

Titel: So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)
Autoren: Mohsin Hamid
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Nacht sagt er deiner Mutter, dass er sich entschlossen hat, sie und euch Kinder zu sich in die Stadt zu holen.
    Sie besiegeln den Beschluss mit Sex. Im Dorf ist Verkehr nur dann eine private Handlung, wenn er auf dem Feld stattfindet. Im Haus hat kein Paar einen Raum für sich allein. Deine Eltern teilen sich den ihren mit allen dreien ihrer verbliebenen Kinder. Aber es ist dunkel, daher ist wenig zu sehen. Außerdem bleiben deine Mutter und dein Vater nahezu vollständig bekleidet. Sie haben sich zum Kopulieren in ihrem ganzen Leben noch kein einziges Mal ausgezogen.
    Kniend löst dein Vater die Kordel seiner weiten Hose. Den Bauch auf dem Boden, dreht deine Mutter das Becken und tut es ihm nach. Sie langt nach hinten und zieht ihn mit der Hand zu sich, eine feste, direkte Bewegung, dem Melkgriff bei der Wasserbüffelkuh am Vormittag nicht unähnlich, aber er ist schon bereit. Sie erhebt sich auf alle viere. Er dringt in sie ein, stützt sich dabei mit einer Hand ab und legt ihr die andere auf die Brust, um sie zu streicheln, aber abwechselnd auch als Halt, wenn er sich nach vorn zieht. Sie befleißigen sich eines gewissen Maßes von Geräuschunterdrückung, dennoch sind muskuläres Ächzen, prallendes Fleisch, traumatisierte Atmung und hydraulisches Saugen weiterhin hörbar. Ihr schlaft, du und deine Geschwister, oder ihr tut zumindest so, bis sie fertig sind. Dann legen sie sich erschöpft zu dir auf die Pritsche deiner Mutter und sind binnen Sekunden in ihren Träumen versunken. Deine Mutter schnarcht.
    Einen Monat später geht es dir schon so gut, dass du mit deinem Bruder und deiner Schwester auf dem Dach des überladenen Busses fahren kannst, der deine Familie und weitere sechzig beengte Personen in die Stadt bringt. Sollte er auf seiner rasenden Fahrt umkippen in seinem irrwitzigen Wettrennen mit anderen, ebenso überfüllten Rivalen, die alle die nächsten und wieder nächsten Gruppen voraussichtlicher Fahrgäste aufnehmen wollen, sind Tod oder mindestens Verstümmelung extrem wahrscheinlich. Solche Dinge geschehen häufig, wenngleich nicht annähernd so häufig, wie sie nicht geschehen. Aber heute ist dein Glückstag.
    Du hältst dich an Stricken fest, mit denen Gepäck überwiegend erfolgreich am Fahrzeug festgebunden ist, und erlebst einen Zeitenlauf, der seinem chronologischen Pendant vorauseilt. So wie auf dem Weg ins Gebirge ein kurzer Höhenwechsel einen aus dem subtropischen Dschungel in die halbarktische Tundra schleudern kann, so können auch ein paar Stunden Busfahrt von ländlicher Abgeschiedenheit in städtische Zentralität scheinbar Jahrtausende überspannen.
    Auf deinem tintigen Qualm speienden, nach Steuerbord krängenden Gefährt beobachtest du die Veränderungen voller Ehrfurcht. Unbefestigte Straßen weichen befestigten, Schlaglöcher werden seltener und verschwinden bald fast ganz, und der Kamikazeschwall des entgegenkommenden Verkehrs wird ersetzt durch den erzwungenen Frieden der vierspurigen Schnellstraße. Die Elektrizität zeigt sich erst im Vorbeifahren, als ihr unter einer stählernen Parade von Starkstromriesen hindurchhuscht, später in Form von Kabeln, die auf Busdachhöhe zu beiden Seiten der Straße verlaufen, und schließlich als Straßenlampen, Neonschilder und grandiose, prachtvolle Reklametafeln. Die Gebäude sind aus Lehm, dann aus Backstein, dann aus Beton und schießen zu unvorstellbaren vier, dann gar fünf Stockwerken auf.
    Bei jedem weiteren Wunder glaubst du, ihr seid jetzt angekommen, dass zu eurem Zielort doch bestimmt nichts mehr als das gehören kann, und jedes Mal bist du widerlegt, bis du das Denken einstellst und dich einfach den Schichten aus Wundern und Visionen ergibst, die dich überspülen wie die Regenwände, die im Monsun schier endlos aufeinanderfolgen, endlos natürlich nur, bis sie enden, ohne Vorwarnung, und dann hält der Bus zitternd an, und ihr seid unwiderruflich da.
    Indem du und deine Eltern und Geschwister heruntersteigt, verkörpert ihr eine der großen Veränderungen eurer Zeit. War euer Clan einst zahllos, nicht unendlich, aber von einer großen Zahl, die man nicht ohne weiteres kannte, seid ihr jetzt zu fünft. Die Finger an einer Hand, die Zehen an einem Fuß, ein winziger Zusammenschluss, verglichen mit Fisch- oder Vogelschwärmen oder eben Menschenstämmen. In der Geschichte der Evolution der Familie stellt ihr und die Millionen anderer Migranten wie ihr eine beständige Ausbreitung des Nuklearen dar. Es ist eine explosive
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