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So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)

So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)

Titel: So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)
Autoren: Mohsin Hamid
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Bewegungen nahe. Hocken spart Energie, ist besser für den Rücken und daher ergonomisch, und es verursacht keine Schmerzen. Aber nach Stunden, Tagen, Wochen, Jahren des Hockens hallen dessen leichte Beschwerden durch den Kopf wie gedämpfte Schreie aus einer unterirdischen Folterkammer. Sie lassen sich endlos aushalten, vorausgesetzt, man gesteht sie sich nicht ein.
    Deine Mutter fegt unter den Blicken ihrer Schwiegermutter den Hof. Die alte Frau sitzt im Schatten, das Tuchende in ihrem Mund soll nicht ihre Attribute der Verführung, sondern eher ihre ausgefallenen Zähne verbergen, und sie betrachtet sie mit unstillbarer Missbilligung. Deine Mutter gilt im Compound als eitel, arrogant und dickköpfig, und diese Vorwürfe treffen, denn sie sind alle wahr. Deine Großmutter sagt deiner Mutter, sie habe ein Fleckchen übersehen. Da sie zahnlos ist und das Tuch zwischen den Lippen hält, klingen ihre Worte, als spuckte sie.
    Deine Mutter und Großmutter spielen Warten. Die ältere Frau wartet darauf, dass die jüngere altert, die jüngere Frau wartet darauf, dass die ältere stirbt. Zwangsläufig werden beide dieses Spiel gewinnen. Bis es so weit ist, demonstriert deine Großmutter ihre Autorität, wann immer sie kann, und deine Mutter ihre Körperkraft. Die anderen Frauen im Compound hätten Angst vor deiner Mutter, gäben ihnen nicht die anwesenden Männer Sicherheit. In einer rein weiblichen Gesellschaft würde deine Mutter wahrscheinlich einmal Königin werden, einen blutigen Stock in der Hand und zerschmetterte Schädel zu ihren Füßen. Hier aber liegt ihr größter Erfolg darin, von schweren Provokationen weitgehend verschont zu bleiben. So abgeschnitten wie sie ist von ihrem eigenen Dorf, ist das kein kleiner Sieg.
    Ungesagt bleibt zwischen deiner Mutter und deinem Vater, dass er es sich bei zehntausend im Monat gerade so eben leisten könnte, deine Mutter und euch Kinder in die Stadt zu holen. Es wäre knapp, aber nicht unmöglich. Im Augenblick kann er den Großteil seines Lohns ins Dorf schicken, wo er zwischen deiner Mutter und dem übrigen Clan aufgeteilt wird. Sollte sie mit euch Kindern zu ihm ziehen, würde der Geldstrom dorthin nur noch tröpfeln und wie das Wasser in der Senke nur in den beiden Festmonaten anschwellen, in denen er vielleicht einen Bonus erwarten könnte und hoffentlich keine Schulden abzahlen müsste.
    Du siehst deiner Mutter zu, wie sie einen langen weißen Rettich zerschneidet und über einem offenen Feuer kocht. Die Sonne hat den Tau vertrieben, und selbst dir, so schlecht es dir geht, ist nicht mehr kalt. Dennoch fühlst du dich schwach, und dein Bauch tut so weh, als würde ein Parasit dich von innen auffressen. Daher sträubst du dich nicht, als deine Mutter deinen Kopf vom Boden hebt und dir das Elixier in den Mund schöpft. Es schmeckt wie ein Rülpser, wie die Gase aus einem Männerbauch. Dir steigt die Galle hoch. Aber in dir ist ja nichts, was du erbrechen könntest, und so trinkst du es ohne Zwischenfall.
    Wie du danach reglos daliegst, ein kleiner, gelbsüchtiger Dorfjunge, und dir Rettichsaft aus den Mundwinkeln rinnt und ein matschiges Fleckchen auf der Erde bildet, muss es den Anschein haben, dass stinkreich zu werden für dich unerreichbar ist. Aber hab Vertrauen. Du bist nicht so machtlos, wie du wirkst. Deine Zeit kommt noch. Jawohl, dieses Buch wird dir eine Wahl bieten.
    Ein paar Stunden später kommt die Zeit der Entscheidung. Die Sonne ist untergegangen, und deine Mutter hat dich auf die Pritsche verlagert, wo du in eine Decke gewickelt liegst, obwohl der Abend warm ist. Die Männer sind von den Feldern heimgekehrt, und die ganze Familie hat, mit deiner Ausnahme, gemeinsam im Hof gegessen. Durch die Tür hörst du das Gurgeln einer Wasserpfeife und siehst, als einer deiner Onkel inhaliert, den Schein der Glut.
    Deine Eltern stehen vor dir und blicken herab. Morgen wird dein Vater in die Stadt zurückkehren. Er überlegt.
    »Wirst du wieder gesund?«, fragt er dich.
    Es ist das Erste, was er dich bei diesem Besuch gefragt, vielleicht der erste Satz, den er seit Monaten an dich direkt gerichtet hat. Du hast Schmerzen und Angst. Daher ist die naheliegende Antwort Nein.
    Dennoch sagst du: »Ja.«
    Und nimmst dein Schicksal in die Hand.
    Dein Vater nimmt dein Krächzen auf und nickt. Er sagt zu deiner Mutter: »Ein kräftiges Kind. Der da.«
    Sie sagt: »Er ist sehr kräftig.«
    Du wirst nie erfahren, ob deine Antwort die deines Vaters geändert hat. Aber in jener
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