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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt
Autoren: Ana Veloso
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es, denn sie beobachtete von ihrem Arbeitsplatz in der Baracke ganz genau, was da draußen vor sich ging. Sie seufzte und rief sich in Erinnerung, dass dieser sehr feine ältere Herr, der ihr schon vor Jahren so positiv aufgefallen war, verheiratet war.

57
    L aura wusste nicht, ob sie ihre Entscheidung bereuen oder sich darüber freuen sollte. Während ihr ein großer Stein vom Herzen fiel, dass sie endlich auch vor João Carlos und ihrem Sohn keine nennenswerten Geheimnisse mehr hatte, empfand sie zunehmend Enttäuschung über die Reaktionen der meisten anderen Leute. Ganz so, wie sie es immer befürchtet hatte: Die Nachbarn beäugten sie wie ein artfremdes Wesen. Die Presse lauerte ihr auf. Ihr Bruder und vor allem seine scheinheilige Frau behandelten sie plötzlich nicht mehr wie eine Frau mit verwerflichem Lebenswandel, sondern wie die reiche Verwandte, von deren Vermögen eines Tages auch etwas an sie abfallen würde. Alte Bekannte, von denen sie seit Jahren nichts gehört hatte, brüsteten sich nun in aller Öffentlichkeit ihrer vermeintlichen Freundschaft mit der berühmten LL . Und die nachlässigsten Kritzeleien, die Laura vor Ewigkeiten auf einem Notizzettel oder auf dem Rand einer Buchseite hinterlassen hatte, gewannen auf einmal an Wert – sofern sie als genuin eingeschätzt wurden. Es war ziemlich abstoßend.
    Dass der ganze Prozess ungefähr zur gleichen Zeit eingesetzt hatte wie die Annäherung an ihren leiblichen Vater, machte die Dinge keineswegs einfacher. Es war ein echter Schock für Laura gewesen, zu erfahren, dass nicht Rui da Costa ihr biologischer Vater war, sondern Fernando Abrantes. Sie hatte es nicht glauben wollen, hatte die Freundin ihres Sohnes, die all diese Veränderungen in ihrem Leben ausgelöst hatte, einer zu lebhaften Phantasie bezichtigt – nur um schließlich vor den allzu klaren Indizien, die Marisa beibrachte, zu kapitulieren. Das Schlimmste war nicht einmal die Tatsache, dass der fremde Mann ihr Erzeuger war. Viel empörender fand Laura es, dass ihre Mutter diesen grandiosen Betrug an all jenen, die ihr nahestanden, ein Leben lang hatte durchziehen können. Wie war es ihr gelungen, ihren Ehemann, ihren Geliebten, ihre Kinder und auch Ricardo so zu täuschen?
    Marisa war es schließlich gewesen, die Lauras Wut einen Dämpfer versetzte. »Dona Laura, Ihre Empörung in allen Ehren – aber haben Sie nicht genau dasselbe getan, indem sie sogar Ihrem Sohn und Ihrem Verlobten Ihre Künstleridentität nie preisgegeben haben?«
    Ja, gestand Laura sich ein, unwissentlich hatte sie sich einmal mehr als die Tochter ihrer Mutter erwiesen.
    »Wie sind Sie überhaupt darauf gekommen?«, hatte Laura von Marisa wissen wollen. Die Antwort war ebenso beschämend wie naheliegend gewesen: »Ihr Sohn wusste es schon seit Jahren.«
     
    Lauras erste Begegnung mit ihrem »Vater«, den sie nie als solchen würde betrachten können, war gekennzeichnet von großer beiderseitiger Gehemmtheit. Fernando Abrantes war ebenso irritiert von Lauras Ähnlichkeit mit Jujú, wie sie es über seine Ähnlichkeit mit Ricardo war. Sie hatten einander ein paar Minuten schweigend gemustert, bevor beide gleichzeitig anfingen zu reden.
    »Du bist …«
    »Sie haben …«
    Sie lachten beklommen.
    »Sie zuerst, General.«
    »Du bist das genaue Abbild deiner Mutter.«
    Laura nickte. »Und mein Sohn Ricardo ist Ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten.«
    Fernando hatte eine Braue gehoben und nichts gesagt. Ihm hatte bereits eine beleidigende Antwort auf den Lippen gelegen – »ich hatte nie Akne« oder etwas Vergleichbares –, bevor ihm einfiel, dass er zu der Mutter des Cowboys sprach. Zu seiner Tochter. Der Mutter seines Enkels. Es war schwer, diesen neuen Sachverhalt zu verinnerlichen.
    In den darauf folgenden Monaten hatten Fernando und Laura einander besser kennengelernt. Ihre Gespräche waren freundschaftlicher geworden, gewannen jedoch nie die Intensität, wie sie sowohl Vater als auch Tochter erstrebenswert gefunden hätten. Das Höchste an Vertraulichkeit erreichten sie bei einem Treffen, bei dem Fernando Laura nach dem Grund ihrer selbst gewählten Anonymität fragte.
    »Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Nicht als Person.«
    »Das tatest du doch nie. Warum hast du trotzdem aufgehört zu malen?«
    Laura zuckte mit den Schultern. »Ich war irgendwie … leer.«
    »Ist das noch immer so?«
    »Nein.« Sie zwinkerte Fernando zu. »Ich habe neuerdings sogar wieder richtig
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