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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt
Autoren: Ana Veloso
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hatte sie damit bestrafen wollen, dass sie ihren Ruhm für sich behielt? Und wer hatte den Sinneswandel bewirkt? War es wirklich die Braut ihres Sohnes gewesen, diese ihm unbekannte Marisa? Sehr merkwürdig. Rui schob den Gedanken daran, dass eine Außenstehende mehr Einfluss auf seine Tochter hatte als irgendein Familienmitglied, beiseite. Im Augenblick widmete er sich lieber den gesellschaftlichen Umwälzungen, die zu erwarten waren. Ein bisschen weniger Katholizismus und mehr liberales Denken brauchte sein Land.
     
    Laura und ihr »Verlobter« João Carlos dachten ganz ähnlich. Trotz der starken kommunistischen Tendenzen, die plötzlich von Portugal Besitz ergriffen, machten sie sich um ihren Reichtum keine Gedanken – wohl nicht zuletzt deshalb, weil das meiste davon sicher in der Schweiz angelegt war. Ihnen würden die gesellschaftlichen Veränderungen nur Vorteile bringen. Laura vergaß sogar vorübergehend die Trauer um ihren leiblichen Vater: Rui da Costa würde immer ihr richtiger Vater bleiben, und sie war sehr glücklich, ihn nach seiner langen Abwesenheit wiederzusehen.
     
    Marisa und Ricardo konnten den Sturz des Regimes nicht mit der Menge auf der Straße mitfeiern. Doch auch im Krankenhaus war die Stimmung ausgelassen – Schwestern tanzten mit Ärzten über die Flure, die etwas beweglicheren Patienten fanden sich zu einer improvisierten Party zusammen. Marisa und Ricardo hörten das Lachen und die Musik in dem kleinen Privatzimmer, in dem Marisa untergebracht war.
    »Schade, dass der General das nicht mehr miterleben kann.«
    »Ja. Aber mach dir über ihn jetzt keine Gedanken. Ich glaube, er ist als glücklicher Mann gestorben.«
    »Das glaube ich auch. Ich bin froh, dass er wenigstens noch zu unserer Hochzeit kommen konnte.« Marisa verzog plötzlich das Gesicht. »Oh Gott, sie werden immer schlimmer.«
    Ricardo traten Schweißperlen auf die Oberlippe. Er starrte seine Frau hilflos an und zerquetschte ihr in seiner Sorge beinahe die Hand. »Ich hole besser den Arzt.«
    »Nein, lass nur.« Sie stöhnte leise, kurz darauf entspannte sich ihr Gesicht wieder. »Ich fürchte, das kann sich noch hinziehen.«
    Ricardo stand auf und betrachtete aus dem Fenster das Treiben auf der Straße, das ihn deutlich weniger berührte als das Geschehen im Zimmer. »Möchtest du ein Glas Wasser?«
    »Nein, danke.«
    »Oder etwas zum Naschen? Eine Nougatpraline?«
    Marisa lachte gequält auf. »Ich bin doch nicht deine Oma Mariana.«
    Ricardo zuckte mit den Schultern. Dann stutzte er.
    »Kannst du dich noch an den Tag erinnern, an dem sie starb?«
    Marisa nickte.
    »Sie hat versucht, mir etwas mitzuteilen. Sie wusste, dass ich der Enkel von Dona Juliana und dem General bin.«
    »Natürlich.«
    Ricardo sah seine Frau stirnrunzelnd an. »Ja, natürlich.«
    Er setzte sich wieder zu ihr auf die Bettkante und nahm ihre Hand. Er beugte sich zu ihr herab, küsste ihre feuchte Stirn, strich über die gekräuselten Haare an ihren Schläfen. Sein Blick war ebenso sorgenvoll wie verliebt.
    »Ehrlich, Ricardo, du benimmst dich, als würde ich sterben. Geh vielleicht mal um den Block. Oder tanz mit der hübschen Schwester Iacinta über den Korridor.« Kaum hatte sie den Satz beendet, überfielen Marisa wieder derartige Schmerzen, dass sie kaum noch Luft bekam. Ricardo wurde bleich vor Schreck. Er sprang auf, rannte aus dem Zimmer und veranstaltete draußen einen solchen Aufstand, dass Marisa sich kaputtgelacht hätte – wenn sie nicht ebenfalls das dringende Bedürfnis verspürt hätte, einen Arzt zu sehen. Sie hatte Angst, auch wenn sie es Ricardo nicht spüren lassen wollte. Und sie war froh, als wenig später Schwester Iacinta ins Zimmer kam, um nach ihr zu schauen.
    »Kein Grund zur Sorge, meine Liebe. Das dauert noch. Ich komme in einer halben Stunde wieder, in Ordnung?«
    »Nein, nicht in Ordnung!«, ereiferte Ricardo sich an Marisas Stelle. »Meine Frau bekommt ein Baby, und Sie haben nichts Besseres zu tun, als dem Oberarzt schöne Augen zu machen!«
    »Beruhigen Sie sich bitte. Ihrer Frau geht es gut. Alles verläuft bisher ganz normal. Was Sie beide jetzt brauchen, ist kein Arzt, sondern Geduld.« Damit verließ sie den Raum.
    Nach mehr als fünfzehnstündigen Wehen wurde Marisa von einem überaus hässlichen, gesunden, dicken Jungen entbunden. Schwester Iacinta musste sich unterdessen dem jungen Vater widmen, der, einem Nervenzusammenbruch nahe, im Wartezimmer tausend Tode starb. Als Ricardo endlich zu seiner Frau
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