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So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition)
Autoren: Hagen Stoll
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Nico ist Benny, mein Kompagnon Sven Gillert ist Kjeld– und die mächtig gewaltigen Pläne gehen uns nicht aus…
    Also ganz großes Kino, aber Egon, Kjeld und Benny waren jetzt auch nicht die Vorbilder für lustvolles Lernen oder gewissenhaftes Hausaufgabenmachen. Hinzu kommt: Wir hatten inzwischen eine neue Klassenlehrerin, der absolute Horror. Eine aufgetakelte, fingernägellackierte, rothaarige Mittvierzigerin, Lippenstift bis zum Gehtnichtmehr und einer Mischung aus Birkenstock und High Heels, aber das Schlimmste an dieser Person war ihre extravagante lila Tinte in meinem Hausaufgabenheft. Mir standen jedes Mal die Haare zu Berge, wenn ich das Heft aufschlug und ihre Einträge mit lila Tinte sah. Wenn sie wenigstens rot gewesen wäre… Aber lila? Keine Ahnung, aus welchem Geheimlabor sie die Patronen für ihren Füller bezog. Vermutlich hat sie sich ihre Tinte hexenmäßig selbst zusammengemischt. Eines war jedenfalls sicher: Sie mochte mich nicht, und ich mochte sie nicht. Mit ihrer forschen Art hat sie sich ein paar Mal die Zähne an mir ausgebissen, und meine Noten gingen in den Keller.
    Der eigentliche Grund für mein schulisches Dilemma war aber weder der Springpfuhl noch Egon Olsen noch meine Klassenlehrerin. Der eigentliche Anlass und wahre Auslöser war meine Operation.
    Ich war zehn oder elf, als mein Blinddarm rausmusste. Der Wurmfortsatz hatte sich entzündet, und ich landete auf dem OP -Tisch. Leider nicht nur ein Mal, sondern sechs oder sieben Mal, weil ständig etwas schieflief und jeder Pfusch neuen Pfusch nach sich zog. Erst habe ich die Fäden nicht vertragen, dann hatten sie was in der Wunde vergessen, und so weiter, auf und zu, auf und zu, bis ich ein Riesenloch im Bauch hatte. Meine Mutter kam täglich vorbei und tröstete mich nach Leibeskräften. Am Ende hatte ich fast ein Jahr im Krankenbett verbracht, und als ich entlassen wurde, hieß es: zurück in deine alte Klasse. Gemeinsam hatten die Schule und meine Eltern entschieden, mich das entgangene Schuljahr einfach überspringen zu lassen. Das war ein Fehler. Man hätte mich zurückstufen müssen. Jetzt konnte ich nicht mehr mithalten. Meine Leistungen wurden richtig katastrophal. Und an Aufholen war nicht zu denken, weil ich genug anderes im Kopf hatte, Tischtennis zum Beispiel– ich komme noch dazu. Jedenfalls habe ich mich dann ganz auf Außenseiter verlegt und im Endeffekt so ziemlich jeden gegen mich aufgebracht, nach dem Motto: Ihr findet mich scheiße– dann finde ich euch auch scheiße.
    Und jetzt kommt mein Vater ins Spiel. Ich war schon früher mit ihm aneinandergeraten, aber nun ging’s richtig zur Sache. Im Umkleideraum habe ich, wie erwähnt, gewartet, bis meine Klassenkameraden alle am Beckenrand standen, und in der Schwimmhalle bin ich mit dem Po an der Fliesenwand entlanggeschlichen– Hauptsache, keiner bekam mit, dass er bis zu den Oberschenkeln grün und blau war. Heute kommt’s mir vor, als hätte ich von meinem Vater jeden Tag Prügel kassiert. Wahrscheinlicher ist, dass er mich im Abstand von ein bis zwei Wochen übers Knie legte und mir seinen Holzlatschen überzog.
    Warum?
    Er war eigentlich nicht unbeherrscht. Er war nicht jähzornig. Ich vermute aus Schwäche. Aus Ratlosigkeit. Weil er nicht mehr weiterwusste, weil er mit mir nicht wirklich zurande kam und seinen Zorn irgendwie loswerden musste. Ich brachte ihn zur Verzweiflung, und was ihn mehr als alles andere rasend machte, das waren meine Lügen.
    Ich hatte von meinem Vater eingetrichtert bekommen, die Wahrheit zu sagen. Also habe ich die Wahrheit gesagt, und solange es in der Schule gut lief, war alles in Ordnung. Als meine schulischen Leistungen in den Keller gingen und ich nur noch Fünfen kassierte, habe ich zunächst weiter die Wahrheit gesagt, aber mit einem Mal war nichts mehr in Ordnung. Da habe ich für die Wahrheit den Arsch vollgekriegt und mir irgendwann geschworen, nie wieder die Wahrheit zu sagen. Ich habe angefangen zu lügen, meinem Vater gegenüber, meiner Mutter gegenüber. Dann schaukelte sich die Sache hoch. Um noch was geradezubiegen, trat meine Mutter dem Elternaktiv bei, traf sich also mit den Eltern der anderen Problemkinder abends in der Schule, und spätestens da kam alles raus. Der reine Horror. Ich saß zu Hause in meinem Zimmer und wartete auf den Moment, in dem die Tür aufgeht und Muttern hinter mir steht und fragt: Warum hast du uns nicht erzählt…? Warum behauptest du, eine Zwei zu haben, wenn du eine Fünf hast? Wie
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