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So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition)
Autoren: Hagen Stoll
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Jedenfalls hatte ich mit Deutschrap Hooligan mein Rabaukenimage endgültig weg, und mir dämmerte: Egal, auf welche Weise du es ihnen zu erklären versuchst, sie wollen es nicht verstehen. Sie wollen mit dem Finger auf dich zeigen und sagen: Kumpel, bei dir passen alle Klischees, du kommst aus Marzahn, du bist stabil, du hast ’ne Glatze, du musst ein Neonazi sein. Einmal Marzahn, immer Nazi. Und dieses Image bekam ich nicht mehr los. Svenne hat mir mal gesagt: Die schwerste Last, die ein Mensch auf seinen Schultern tragen kann, ist die Last der bösartigen Unterstellung, des grundlosen Vorwurfs, des Vorurteils.
    Ich komme mir wie der friedfertigste Mensch der Welt vor. Wenn’s drauf ankommt, kann ich wie eine Furie durch die Decke gehen, stimmt, doch das ist normal, das ist unabhängig von Körpergröße und Gewicht. Viele, die mir damals wichtig waren, haben deshalb gesagt: Zeig mehr von dir. Trau dich, ehrlicher zu sein. Specter von Aggro zum Beispiel: » Wenn die Leute wüssten, wie du wirklich bist…« Aber wie vermittelt man das medial? Oder Götz Gottschalk von Premium Blend, einem der größten Hip-Hop-Verlage Deutschlands: » Hagen, wenn du die Hosen runterlassen würdest, wenn du wirklich erzählen würdest, wer du bist und was du alles erlebt hast, die Leute würden dich feiern. Dann könnten sie ihre eigenen Vorurteile sehen, dass sie nur wegen deines Aussehens und deiner Statur falsch darüber geurteilt haben, was bei dir wirklich dahintersteckt. Zeig das, und es werden sich Dinge für dich bewegen und Türen öffnen.«
    Es gab Rapper, die sich nicht scheuten, die Hose runterzulassen, die in ihren Songs von ihren Gefühlen sprachen, Curse zum Beispiel. Der rappte über seine Magenprobleme und den grünen Tee, den er des Morgens trinkt, und verkaufte mehr Platten als ich.
    Ich habe mir damals solcherlei beherzte Unverblümtheit nicht zugetraut. Ich hab’s auch nicht genau verstanden– Hosen runterlassen, und die Medien nehmen alles zurück? Vielleicht wollte ich es nicht verstehen, weil meine Schwächen dann zutage getreten wären, und Schwächen sind im Rap eigentlich völlig deplatziert, die werden sofort aufgespießt, ausgenutzt und dir um die Ohren geschlagen.
    Andererseits hasse ich es, missverstanden zu werden. Vermutlich ein Überbleibsel aus meiner Vergangenheit– mit dieser Geschichte eines auf Missverständnisse und Unterstellungen programmierten Vaters hatte ich es einfach satt, missverstanden zu werden. Ich wollte diese Nummer nie mehr erleben– keine Wiederholung, bitte. Also habe ich es noch einmal versucht und mit Sven an einem neuen Album gearbeitet, einem Album, das nie veröffentlicht wurde. Ich war müde, ich war enttäuscht, aber einfach aufhören, das ging nicht. Warum nicht? Erst kürzlich habe ich mit meinem Freund Simon darüber gesprochen, ein Autor wie ich. Wozu ist das gut, was wir hier machen?, haben wir uns gefragt. Was ist der Sinn der Sache? Was wollen wir erreichen? Und sind schließlich zu dem Ergebnis gekommen: Wir wollen ein Erbe hinterlassen. Ein Vermächtnis, wenn man es pathetisch ausdrücken will. Jedenfalls wollen wir etwas zurücklassen, nachdem wir gegangen sind. Man soll noch von uns reden. Im Grunde wollen wir unsterblich sein. Daher diese Energie, diese Ruhelosigkeit, daher immer wieder dieser Schrei: » Schaut her, ich bin hier!«
    Auf mich trifft diese Einsicht unbedingt zu. Ob ich Graffiti mache, ob ich an der Tischtennisplatte oder auf der Bühne stehe, ich will anderen Leuten zeigen, dass ich lebe. Da ist die Leidenschaft am Werk, die Opa Ludwig mir vermittelt hat. Deshalb konnte ich nicht einfach aufhören, deshalb habe ich mich mit Sven ins Studio gesetzt und komponiert und aufgenommen– vielleicht hört mir ja doch noch mal jemand zu. So entstand ein Song wie » Ihr werdet dankbar sein«.
    Das Thema ist zuhören, hinhören. Wenn ihr Kritiker und Medienleute uns nur ein einziges Mal wirklich zugehört hättet, heißt es da, hätte man zusammen was verändern können. Stattdessen habt ihr uns zum Problem erklärt. » Ihr denkt, wir übertreiben mit den Geschichten, die wir aus unseren Milieus erzählen, um uns zu profilieren«, sage ich sinngemäß, » und merkt gar nicht, dass es die nackte Wahrheit ist. Lieber habt ihr den Politikern geglaubt, die die Wahrheit entweder verschweigen oder gar nicht kennen. Und dann wundert ihr euch, dass so viele Kids uns glauben und sonst keinem.« Ich hatte dazu eine Idee für ein Video. Ich wollte alle
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