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So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition)
Autoren: Hagen Stoll
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hundertfünfzig Bandidos in voller Kriegsbemalung. Da geht einem die Muffe. Wir haben uns trotzdem gesagt, wir marschieren jetzt da durch, für mich ging’s ja um Musik, nicht um letzte Gefechte, wir also los, die Hände in den Taschen und den Schlagring an der Faust, bereit, zu kämpfen und zu fallen.
    So, und dann kamen irgendwelche Vize-Präsis auf uns zu. » Ich klär das jetzt erst mal hier (mit dieser krächzenden Stimme). Erzähl doch mal, Rilla, was’n da los mit den Angels und dir? Bist du jetzt einer von denen oder nicht?«
    » Nee«, sage ich, » bin ich nicht. Ich mache Musik. Ich diene zur Unterhaltung. Ich bin der Hampelmann auf der Bühne.«
    » Ja, also nüscht mit Hell’s Angels?«
    » Nein. Ist keine Option für mich. Selbst wenn ihr mich buchen würdet, könnte man darüber reden.«
    » Is ja ’n Ding! Echt, im Ernst?«
    Da merkt man schon, wie schlau die sind. Aber, offen gesagt, ich war damals selbst schon ziemlich abgestumpft. Ich kam mir tatsächlich wie der Hampelmann vor, der sein Geld damit verdient, dass er sich auf die Bühne stellt und ein paar Mal » fickenfotzescheißedummesau« sagt. Habe ich dann auch in Neubrandenburg noch mal gemacht.
    Danach kam die Tour mit B-Tight, und jetzt wusste ich: Du musst aufhören. Hilft alles nichts. Das Publikum war so jung, mit meinen dreiunddreißig Jahren hätte ich gut und gern der Vater von vielen sein können, und außerdem: Was wollten die Kids von mir? Dass ich den bösen Rapper spiele, der hoffentlich schleunigst erklärt, dass er dem Nächsten die Fresse polieren will. Im Anschluss an diese Tour war ich fertig. Das war deine letzte Hip-Hop-Tour, habe ich mir gesagt, du bist zu alt für diese Scheiße, mach mal piano und komm wieder zu dir.
    Dieses verfilzte Wollknäuel, in dem ich mich bewegte, in dem ich mich kaum noch bewegen konnte. Dieses Hip-Hop-Milieu. Alles war mir zuwider. Ich war kurz davor, mich wieder auf den Bock zu setzen. Warum verstehen die mich nicht? Was mache ich falsch? Warum wollen die von mir nur » Arschloch«, » Wichser«, » blöde Sau« hören? Sicher, der Rap war immer mit einer gewissen Kraftmeierei verbunden gewesen, und wenn man den Battlerap nimmt… da geht es tatsächlich darum, sich verbal niederzumachen und mit Ausdrücken durch die Gegend zu schmeißen. Fernab davon aber gibt es auch einen Rap, der sich mit dem Alltag beschäftigt, der sich mit der Realität auseinandersetzt– der Rap kam ja aus der Unterschicht, und da hatte man anfangs mehr auf dem Herzen gehabt, als mit seiner eigenen Grandiosität zu protzen, auf Kosten anderer.
    Inzwischen hatte sich der Hip-Hop allerdings gravierend verändert. Kein Schwein legte mehr auf Graffiti wert. Kein Schwein wollte mehr was von Breakdance wissen. Alles drehte sich nur um Gangsta, Gangsta, Gangsta, in den USA genauso wie bei uns. Zeig, was du draufhast? Entwickle deinen eigenen Stil? Bring die Leute zum Staunen? Pustekuchen. Für mich war Hip-Hop ein Netz gewesen, der doppelte Boden, der mich vorm Absturz bewahrte. Für die nächste Generation war Hip-Hop zur Falle geworden, und mir legte er sich in diesen Monaten wie eine Schlinge um den Hals. Die Bandidos empfand ich bloß noch als die Klappe, die sich unter mir öffnet.
    Weil diese Sache allenthalben mit meinem Rap in Verbindung gebracht wurde. Ey, du machst Straßenrap, du kommst von der Straße, du erzählst von der Straße, du hältst mit deinen Erfahrungen im Untergrund und im Milieu nicht hinterm Berg, dann wundere dich doch bitte nicht, wenn du Probleme bekommst. Aus meiner Sicht hatte das eine mit dem anderen aber nicht das Geringste zu tun. Ich hatte keine Hell’s Angels glorifiziert, ich hatte keine Bandidos angegriffen, ich fühlte mich nur von Leuten schikaniert, die sich durch ein T-Shirt in der Zeitung gekränkt sahen, nach dem Motto: Aha, die Angels nehmen jetzt Rapper und machen mit denen Werbung– können wir nicht dulden.
    Ganz unschuldig daran war ich allerdings nicht. Mein neues Album Deutschrap Hooligan war erschienen, ebenfalls ein Verkaufserfolg, und prompt wurde ich von den Medien zum Hooligan gestempelt. Zum Hooligan und zum Nazi. » Aha, Marzahn… Erzähl mal, dritte Halbzeit…« Dabei waren auf Deutschrap Hooligan nicht nur die miesen, heftigen Sachen zu hören, sondern auch tiefschürfende Songs wie » Vater und Sohn« und » Freund, der du warst«, oder » Fremder Bruder«, in dem ich mal höflich nachfrage, warum sich im Rap eigentlich alle mit Bruder anquatschen.
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