Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition)
Autoren: Hagen Stoll
Vom Netzwerk:
besorgen wir.« Und dann kamen sie, die Vorschlaghämmer über die Schulter geworfen, alle in Unterhemden, alle mit Mundschutz, die krassesten Figuren, die Berlin zu bieten hatte.
    » Ist nicht dein Ernst«, sagte meine Schwiegermutter.
    » Doch, doch. Die sind irre.«
    Nach zwei Tagen war das Haus entkernt. Der Putz runtergeschlagen, die Leitungsstränge rausgerissen, der Schornstein weggehauen. Übrig blieben die nackten Mauern und alles, was diesem Haus seinen historischen Charme verlieh. Habe ich den Jungs ihr Geld in die Hand gedrückt und noch ein Bierchen mit ihnen getrunken, und Feierabend. Bis zum Ende des Jahres wurden die alten Keramiköfen von 1937 auf Vordermann gebracht, die Dielen abgezogen, das Treppenhaus in seinen Originalzustand zurückversetzt, Dachstuhl, Dach und Fassade erneuert, und im Winter 2006 zogen wir ein.
    Soweit war alles gut. In der Fassade aber zeigten sich die ersten Risse.
    Es war Katrin schon immer schwergefallen, meine Musik als Arbeit zu akzeptieren. Für sie war es seit jeher eher Party als Beruf gewesen. Irgendwann wollte sie es immer genauer wissen. » Was treibst du da eigentlich?«– als würde ich mich hauptsächlich mit Groupies hinter der Bühne vergnügen. Wir Rapper standen ja auch in dem Ruf… aber für mich hatte sich meine Rolle als Rapper bislang mit der des Ehemanns und Familienvaters vereinbaren lassen. Es war etwas anderes. In den ersten Jahren waren wir wie Pluspol und Minuspol gewesen, unzertrennlich, nicht auseinanderzureißen, einer auf den anderen angewiesen. Doch mit der Zeit hatten wir uns so verdreht, dass wir immer weniger zueinander passten.
    Natürlich hatte es Katrin mit mir nicht leicht. Wenn ich mit Sido zwei Monate lang auf Tour war, blieb viel Arbeit an ihr hängen. Wenigstens produzierte ich jetzt daheim– ich hatte mein Studio nach dem Auszug aus dem Hansa ja in den Keller unseres Hauses verlegt–, aber Kunst lässt sich nicht nach Dienstplan machen, ich war halt kein Klempner, der um sechzehn Uhr die Rohrzange fallen lassen kann, ich hockte manchmal bis tief in die Nacht da unten, weil ein Song fertig werden musste, und auch das verstand sie nicht.
    Dann veröffentlichte ich als Joe Rilla mein neues Album Auferstanden aus Ruinen, und es schlug ein wie eine Granate. Mit einem Schlag war ich der neue Rapper von Aggro, der Rapper aus dem Plattenbau, der seine Geschichte erzählt, der unsentimentale Realist, und Termine, Tourneen und Festivals häuften sich. Eine weitere Tour mit Sido folgte, dann eine mit B-Tight, zwischendurch kamen die Tageszeitungen, BILD , Berliner Kurier, Frankfurter Allgemeine, ich gab jede Menge Interviews, ich profilierte mich als Speerspitze und Sprachrohr des Ostens und verdiente so gut, durch das Album, durch Merchandise, durch GEMA -Einnahmen, dass ich den Rückzug aus dem Reinigungsgewerbe nicht bereuen musste. Ich hatte ein paar Anläufe gebraucht, aber jetzt war ich ganz oben, und eines Tages brachte eine große Berliner Tageszeitung eine doppelseitige Story mit Fotos über mich. Auf einem der Fotos sieht man mich in heroischer Haltung vor einem Plattenbau stehen, der gerade abgerissen wird, und unter meinem Armeeparker trage ich ein Hell’s-Angels-Supporter-Shirt. Selbstverständlich war ich kein Supporter. Ich hatte überhaupt keine Verbindung zu dem Verein, außer dass ich von denen als Joe Rilla auf Tattoo-Conventions gebucht wurde. Die Angels waren normale Kundschaft für mich, die Angels aus Kiel waren besonders freundlich zu mir, und einer von denen hatte mir ein paar T-Shirts geschenkt. Supporter-Shirts. Ohne mir dabei etwas zu denken, hatte ich an dem Tag, als die Aufnahmen für den Artikel gemacht wurden, eines dieser T-Shirts aus dem Schrank gegriffen und angezogen. Wobei man sagen muss: Es war nur für den Kundigen zu erkennen. Laien wie ich sahen bloß einen rot-weißen Fleck im Ausschnitt meines Parkers. Völlig nichtssagend.
    Nebensächlich. Bedeutungslos. Trotzdem war dieses rot-weiße Etwas auf einem Zeitungsfoto von Bedeutung. Von entscheidender Bedeutung sogar. Es war gewissermaßen der Auslöser für Haudegen. Eine irre Geschichte.
    Damals, 2007, eskalierte der Machtkampf zwischen den Hell’s Angels und den Bandidos in Berlin, was mir ebenfalls verborgen geblieben war. Auf die erste Kontaktaufnahme der Bandidos habe ich deshalb auch kühl lächelnd reagiert, da hielt ich sie noch für harmlose Spinner. Es war ein Anruf. Er nannte keinen Namen, sagte jedoch irgendwas von Bandidos und drohte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher