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So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition)
Autoren: Hagen Stoll
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folgen können.« Gleichzeitig ist er ein Freak, der gar nicht in meine Welt passt. Ich bin zielorientiert und diszipliniert, der Sohn eines Grenzsoldaten eben, und er ist das komplette Gegenteil. Bei ihm kam eben die Kifferei hinzu. Sido hat gekifft wie ein Weltmeister, und Kiffer sind ein ganz eigener Menschenschlag. Eigentlich kriegen die nüscht auf die Reihe, aber Sido hatte soweit alles im Griff.
    Ursprünglich kommt er übrigens auch aus Ostdeutschland, was lange Zeit niemand wusste. Wir hatten einen Titel, der hieß » Ost-West«. In diesem Song rappe ich über die Klischees, die im Osten über die Westdeutschen kursieren, und er über die, die im Westen über die Ostdeutschen umlaufen. Als ich erfuhr, dass er selbst ein Ossi ist, war ich einigermaßen sauer– wie konnte er über die Ossis herziehen, wenn er selbst einer war? Aber er hatte nun mal den Stempel Westberlin, da gab’s kein Zurück. Im Grunde hatten wir dieselben Wurzeln. Er war wie ich im Plattenbau aufgewachsen, nur er im Märkischen Viertel, ich in Marzahn.
    Kurz und gut, wir hatten auf dieser Tour eine sehr lustige, wahnsinnig intensive Zeit. Sido wusste immer die unglaublichsten Geschichten zu erzählen, und im Übrigen war er das beste Beispiel dafür, was im Rap alles geht. Und dann bahnten sich bei mir daheim Veränderungen an.
    Eines Abends saß ich mit Katrin und den Schwiegereltern zusammen, als die Frage auftauchte: Sollen wir uns ein Haus kaufen? Ein Haus für die ganze kleine Großfamilie? Können wir uns das leisten? Wollen wir uns das leisten? Timea fühlte sich in ihrem Kindergarten in Marzahn nicht wohl. Es gibt ein Foto, das die ganze Kinderschar mit ihren Erzieherinnen zeigt, und niemand auf dem Foto lacht. Davon abgesehen– es musste ja auch für mich nicht auf immer und ewig Marzahn sein.
    Die Überlegungen wurden konkreter. Das Beste wäre, wenn wir Katrins Oma, die ebenfalls in Marzahn wohnte, mit einplanen würden. Ich hatte zu allen, auch zu dieser Oma, ein gutes Verhältnis. Und außerdem: Wir wohnten ja schon seit drei Jahren Tür an Tür, und diese Türen standen immer offen, wir lebten also eh auf einem Haufen– warum nicht ein großes Haus nehmen, eines mit diversen Etagen, und ein Mehr-Generationen-Haus daraus machen? Auf jeden Fall sollte es Charme haben. Es sollte uns auf den ersten Blick beeindrucken. Vielleicht etwas aus den Dreißigerjahren, Backstein, hohe Fenster, voll unterkellert…?
    Nichts beeindruckte uns, weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick. Die Häuser, die unsere Makler anschleppten, waren allesamt Schrott. Mitten im Wald, also viel zu dunkel, oder meilenweit von der nächsten S-Bahn entfernt, oder einfach hässliche Bunker. Und dann hieß es: Wir haben da ein Haus für Sie. 1937 erbaut, voll unterkellert, vier Etagen inklusive Dachgeschoss, zweihundert Quadratmeter Grundfläche, möchten Sie sich das mal anschauen? Wir hatten schon gar keine Lust mehr, sind trotzdem mitgefahren, kommen in die Straße, sehen das Haus und fallen schon im Auto ins Essen. Klinkersockel bis auf eine Höhe von zwei Metern, darüber normaler Putz, an den Ecken schöne, runde Erker und dahinter ein Grundstück mit eindrucksvollen Bäumen. Die Fassade allerdings ziemlich hinüber. Andere hätten wohl abgewinkt, aber wir fanden es klasse. Lass es ein bisschen marode sein, haben wir uns gesagt, wir investieren in die Wiederherstellung.
    Vorher hatte jemand darin gewohnt, der mit der Größe des Hauses wohl überfordert war. Egal. Die S-Bahn vor der Tür, der Hoppegarten schnell zu erreichen, die ganze Gegend so ’n bisschen Grunewald des Ostens, also schon ein harter Schnitt: Marzahn und das hier, zwei Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten, aber nur fünf Kilometer mit dem Auto, und ich war wieder in Marzahn bei meinen Jungs. Da war für mich zweierlei klar: Wir nehmen es. Und– ich verlege mein Studio in dieses Haus.
    So, Haus gekauft, Grundstück gekauft, Grundbucheintragung, und jetzt lasst uns loslegen. Ich habe ein paar Jungs angerufen, ein paar Verrückte von der Tür, und zu meinen Schwiegereltern gesagt:
    » Macht euch keine Sorgen, innerhalb von zwei Tagen ist das Haus entkernt.«
    » Niemals«, sagte meine Schwiegermutter. » Wir haben Kostenvoranschläge von Abrissfirmen, die von anderthalb Wochen ausgehen.«
    » Und meine Jungs brauchen zwei Tage.«
    Da habe ich also die alte Mannschaft einberufen. » Zwei Tage«, sagten sie, » nicht mehr. Stell ein paar Container auf, den Rest
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