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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt
Autoren: Johan Theorin
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unmöglich, Jan ist von Rössel gefangen und Rössel von Jan.
    Rössel kämpft, aber Jan lässt nicht los. Er schließt die Augen. Hoffentlich ist Leo davongekommen.
    Â»Gib auf«, keucht Rössel. »Ehe du stirbst.«
    Er ist außer Atem, und seine Stimme klingt überhaupt nicht mehr sanft. Jetzt ist das Raubtier herausgekommen, das sich hinter dem freundlichen Lehrer versteckt hatte.
    Jan öffnet die Augen.
    Sie bewegen sich langsam auf den Abgrund zu. Er und Rössel in einer festen Umarmung.
    Â»Jetzt bist du dran, Kamerad!«
    Jan dreht sich um, sucht Hilfe am Felsen. Leo ist fort, und er kann bei der Kiefer nur eine Gestalt erkennen. Hanna, die unbeweglich neben dem Erdloch steht und ihnen zusieht. Sie ist wie erstarrt und rührt sich nicht.
    Jan spürt, dass er dem Abgrund hinter sich immer näher kommt, aber er zögert nicht. Es ist nur ein kleiner Schritt in der Dunkelheit.
    Er tut den Schritt und zieht Rössel mit sich über die Felskante.

56
    Â»Geht es allen gut heute?«, fragt Marie-Louise.
    Auf ihre leise Frage erhält sie keine Antwort.
    Hanna sitzt still da und ist an diesem Morgen ebenso schweigsam wie die anderen im Personalraum der Vorschule. Sie hat keine Worte mehr. Obwohl sie kaum zu atmen vermag, ist sie wieder zur Arbeit erschienen und versucht nun, ruhig zu wirken. So viel ist schiefgegangen. Sie hat das Gefühl, in einem Sturm zu sitzen, ohne zu wissen, wann er ein Ende hat.
    Es ist Mittwoch. Seit der chaotischen Brandschutzübung ist die Vorschule geschlossen gewesen, und in den letzten Tagen kursierten alle möglichen Gerüchte über Sankt Patricia. Auch die Medien haben ausführlich berichtet.
    Marie-Louise wiederholt ihre Frage nicht. »Doktor Hög­smed ist heute bei uns«, sagt sie stattdessen, »um uns über die Ereignisse zu informieren. Ich glaube, wir können alle eine Art ...« Sie verstummt, findet nicht die richtigen Worte und sagt schließlich nur: »Bitte schön, Herr Doktor.«
    Â»Danke, Marie-Louise.«
    Högsmed sitzt zunächst mit gesenktem Kopf am Tisch, als hätte er in den letzten Tagen kaum geschlafen. Doch dann richtet er sich auf und beginnt: »Ja. Wie Sie wissen, hatten wir am Freitagabend eine Brandschutzübung, die aber viel komplizierter verlaufen ist, als wir erwartet hatten. Der Grund dafür war, dass kurz vor der Übung in der vierten Etage ein echter Feueralarm ausgelöst wurde.«
    Der Doktor macht eine Pause. Am Tisch ist es mucksmäuschenstill. Hanna sieht aus dem Fenster auf die Betonmauer von Sankt Psycho.
    Â»Infolge dieses Brandes«, fährt Högsmed fort, »gab es eine gewisse Verwirrung über die jeweiligen Zuständigkeiten des Wachpersonals. Deshalb hatten wir gewisse Stationen nur sehr schlecht unter Kontrolle, und die Patienten konnten sich frei bewegen. Wohl aufgrund dieses Durch­einanders kam es zu einem Angriff auf einen der Wachmänner in der vierten Etage, der tödlich endete, anschließend gelang dem Mann, der den Brand verursacht hatte, die Flucht. Es handelte sich um einen unserer gefährlichsten Patienten.«
    Ivan, denkt Hanna. War er gefährlich? Ja, das war er. Aber auch liebevoll und fürsorglich. Zusammen mit Andreas sitzt sie unbeweglich am Personaltisch. Die Stühle rechts und links von Hanna sind leer. Sonst sitzt Lilian immer neben ihr, aber sie ist krankgeschrieben.
    Der andere Platz gehört Jan Hauger.
    Hanna hatte Jan und Ivan zusammen über die Felskante fallen sehen. Zwei dunkle Gestalten, die einander fest umklammert hielten.
    Sie wartete auf den dumpfen Schlag, wenn die Körper auf den Felsblöcken auftreffen würden. Und der Schlag kam.
    Danach war es im Wald vollkommen still.
    Irgendwann drang ein Stöhnen zu ihr herauf.
    Â»Ivan?«
    Wieder hörte sie ein Stöhnen, aber die Stimme da unten klang wie die von Jan.
    Hanna floh. Der kleine Leo war auf und davon, aber sie kümmerte sich nicht um ihn. Es war Ivans Idee gewesen, Leo zu entführen und die Sache Jan Hauger in die Schuhe zu schieben, aber Hanna war froh, dass der Kleine entkommen war.
    Sie stolperte durch den Wald, den Abhang hinunter bis zu ihrem Mietwagen, und fuhr dann auf der Autobahn zurück nach Valla.
    Um drei Uhr war sie wieder zu Hause. Sie schloss die Tür hinter sich ab und spülte Handschuhe, Spritze und Valiumampullen die Toilette runter – alles, was sie mit
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