Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt
Autoren: Johan Theorin
Vom Netzwerk:
neun Jahre zuvor die Landschaft am Vogelsee im Gedächtnis hatte, und fügt hinzu: »Sie erinnern sich doch, wie man zu dem Grab kommt, oder?«
    Es ist das erste Mal, dass er Rössel um etwas gebeten hat. Er wartet schweigend.
    Aber Rössel schüttelt den Kopf. »Ich kann nicht. Ich kann nicht zeichnen.«
    Â»Aber ich«, verkündet Jan. Er nimmt das Papier und malt zwei parallele Linien, zwischen die er Trastvägen schreibt. »Hier sind wir. Und wohin müssen wir?«
    Rössel zögert.
    Â»Zeichne einen Pfad«, sagt er schließlich. »Nach links rauf.«
    Jan fängt an zu zeichnen. Die Linie windet sich über das Papier, und Rössel weist ihn an, Höhenunterschiede, Bäche und größere Felsen einzuzeichnen. Jan hatte recht, Rössel hat die Landschaft genau im Kopf. An diesen Ort hat er oft gedacht.
    Â»Da, auf dem Absatz, mach ein Kreuz.« Rössel ereifert sich, er zeigt auf die Karte. »Und schreib, dass ich den Jungen zufällig auf einer Parkbank gefunden habe, dass ich ihn mit in den Wald genommen und oben zwischen den Felsen begraben habe.«
    Das Geständnis, denkt Jan. Letztendlich ein schriftliches Geständnis für Lilian und ihre Familie.
    Jan schreibt das Gesagte neben das Kreuz und zeigt Rössel die Karte.
    Der betrachtet das Papier und nickt.
    Â»Gut«, seufzt Jan leise und legt die Karte auf den Beifahrersitz.
    Â»Jetzt gehen wir«, sagt Rössel.
    Er steigt aus dem Auto, und Jan tut dasselbe. Die Nachtarbeit wartet. Und die Spaten. Jan öffnet den Kofferraum, wo sie auf einer alten Decke liegen. Er nimmt alles mit, auch den kleinen Schutzengel, der ihre einzige Lichtquelle in der Dunkelheit sein wird.
    Rössel geht sehr aufrecht, er wirkt jetzt entschlossen. Er führt sie über einen Graben, dann von der Straße weg zwischen Felsen und Kletterfichten durch das Gestrüpp.
    Sie lassen die letzten Lichter hinter sich, hier beginnt die Wildnis.
    Nach etwa dreihundert Metern gelangen sie zu einer kleinen Lichtung voller kantiger Schatten. Jan hebt den Schutzengel und erkennt glänzende Granitblöcke, vor Tausenden von Jahren von der Eiszeit hier hingeworfen und dann willkürlich unterhalb einer senkrecht sich erhebenden Felswand aufgestapelt. Irgendwo in der Dunkelheit kann er Wasser rauschen hören.
    Â»Müssen wir hier hochklettern?«
    Â»Das geht nicht.« Rössel schüttelt den Kopf. »Wir müssen um die Felsen herumgehen, da ist es weniger steil.«
    Sie finden einen kleinen Pfad, der um alle Felsblöcke herumführt, und gehen jetzt schräg bergauf. Rössel läuft vorneweg durch die Klamm, er scheint sich mithilfe seiner Erinnerungskarte zu bewegen, und beginnt dann, flott den Abhang hinaufzuklettern.
    Jan folgt ihm in einigen Metern Entfernung. Vor seinem inneren Auge hat er das Bild des getöteten Wärters Carl, und solange Rössel das Rasiermesser bei sich trägt, will er ihn nicht wieder im Rücken haben.
    Nach zwanzig Metern Aufstieg bleibt Rössel stehen und schöpft Atem.
    Â»Ich habe ihn hier raufgetragen«, erklärt er, »harte Arbeit.«
    Â»Hat John Daniel da noch gelebt?«, fragt Jan. »Haben Sie ihn hier oben getötet?«
    Â»Ich habe ihn nicht getötet.« Rössel wendet sich zu ihm um und klingt jetzt erschöpft. »Er ist in meinem Auto gestorben, und zwar an all dem Alkohol, den er im Laufe des Abends in sich hineingeschüttet hatte. Er hat sich im Kofferraum übergeben und ist daran erstickt. Es war nicht meine Schuld.«
    Jan sieht ihn an. »Er hätte weitergelebt, wenn Sie ihn in Ruhe gelassen hätten. Wie all die anderen.«
    Rössel zuckt mit den Schultern. »Er hätte nüchtern bleiben können.«
    Ein paar Meter weiter oben ist ein Absatz im Fels, hinter dem Rössel verschwindet. Jan folgt ihm die letzten Schritte den Abhang hinauf. Als er oben ankommt, steht er auf einem breiten Plateau hoch über dem Wald. Rössel erwartet ihn bereits mit dem Spaten in der Hand. Er macht ein paar Schritte vorwärts und sieht zu einer Kiefer hinüber, die einsam auf dem Plateau wächst.
    Â»Hierher bin ich in jener Nacht gegangen«, beginnt er. »Ich kannte die Gegend. Das letzte Mal war ich nach einem heftigen Wintersturm hier. Auf dem Felsabsatz war eine Kiefer umgestürzt und hatte eine große Grube hinterlassen.«
    Jan hält den Schutzengel hoch und sieht, dass das Plateau
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher