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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt
Autoren: Johan Theorin
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Sekunden später liegt Jan zusammengekrümmt auf dem Felsen.
    Rössel ist es, der ihn niederschlägt, und es geht schnell. Eine einzige wirbelnde Bewegung mit dem Spaten, während Jan dasteht, Hanna Aronsson anstarrt und zu verstehen versucht, warum sie hier ist. Und wer ist der Junge?
    Rössel hat einen Schritt nach vorn getan und auf Jans rechtes Bein gezielt. Der Metallspaten trifft ihn unter dem Knie, das Bein wird weggerissen, und Jan stürzt ins Gestrüpp, hinein in Schmerzen und Übelkeit.
    Er verliert das Bewusstsein.
    Sekunden vergehen, vielleicht auch Minuten.
    Â»Ist bei dir alles gut gelaufen?«, hört er Rössel fragen.
    Und Hannas Stimme antwortet: »Schon, aber ich musste eine Weile warten, bis er allein draußen war.«
    Â»Gut«, sagt Rössel.
    Die Stimmen und die Kälte lassen Jan im Gestrüpp langsam wieder zu sich kommen, und als er die Augen aufschlägt, sieht er ein schwaches Licht.
    Vor ihm liegt eingeschaltet der Schutzengel. In seinem Schein sieht er Rössel und Hanna wie zwei Schatten in einigen Metern Entfernung.
    Rössel hat den Spaten gesenkt und scheint sich zu entspannen. Er geht zu Hanna, gibt ihr einen Kuss auf die Wange und berührt ihr helles Haar.
    Â»Ich hatte Sehnsucht«, sagt er.
    Doch seine Bewegungen wirken steif. Die Hände können mit Nähe nicht umgehen.
    Nun erkennt Jan auch den Jungen, den Hanna auf den Armen trägt: Es ist Leo, Leo Lundberg aus der Vorschule. Fünf Jahre alt, verschwunden und gesucht – Jan erinnert sich jetzt an das abendliche Telefonat mit Marie-Louise.
    Die Binde, die seinen Kopf bedeckt, ist breit und schwarz. Der Kleine atmet, scheint aber nicht wach zu sein, sondern hängt schlapp auf Hannas Armen.
    Jan sieht, wie Rössel Hanna den Jungen abnimmt und ihn neben die Grube bei der Kiefer legt.
    Â»Hier soll er liegen«, sagt Rössel. »Hier unten.«
    Jan hat das Gefühl, einem Schattentheater zuzusehen. Er fühlt sich betäubt und ganz weit entfernt von allem, aber der Schmerz im Schienbein lässt langsam nach. Er hebt den Oberkörper.
    Rössel bemerkt es und wendet sich ihm zu.
    Â»Rühr dich nicht«, befiehlt er.
    Jan schüttelt langsam den Kopf, setzt sich aber trotzdem auf. Er versucht, Hanna dazu zu bringen, ihn anzu­sehen.
    Â»Was habt ihr vor?«, fragt er. »Warum habt ihr Leo hierhergebracht?«
    Â»Das waren wir nicht«, erwidert Rössel. »Du hast ihn hierhergebracht.«
    Jan sieht ihn erstaunt an.
    Â»Ich?«
    Â»Das hier ist der Tatort, hier ist alles zu Ende«, erklärt Rössel. »Du hast sogar eine Karte gezeichnet, wie man hierherfindet. Eine Karte mit einem Geständnis deiner Tat. Sie liegt im Auto und wartet auf die Polizei.«
    Jan hört zu, sieht Rössel aber nicht an. Er blickt noch einmal zu Hanna, hofft, dass sie mit ihm spricht.
    Â»Was machst du hier, Hanna?«
    Doch sie wirft ihm nur einen raschen Blick zu und schaut dann wieder weg. Im Licht des Schutzengels ist ihr Gesichtsausdruck völlig leer.
    Â»Tut mir leid«, murmelt sie. »Aber du hast einfach zu gut in unsere Pläne gepasst. Du kannst Ivan retten, wenn du die Schuld für den Mord übernimmst, dessentwegen man ihn verdächtigt.«
    Â»Das werde ich nicht.«
    Â»Doch, das wirst du. Du hast schon früher mal Jungen entführt.«
    Jetzt begreift Jan. Hanna hat ihn ausgewählt, er soll der Mörder sein, der neben einem früheren und einem neuen Opfer von der Polizei tot aufgefunden wird, nachdem sie mit ihrem Rössel in die Nacht entschwunden ist. Rössel kann binnen einer Stunde zurück im Krankenhaus sein, und mit etwas Glück merkt niemand, dass er weg war.
    Folie à deux. Geteilter Wahnsinn. Eine Liebe über die Mauer hinweg. Jan erinnert sich an die Warnung von Doktor Högsmed, man solle einem Psychopathen nicht zu nahe kommen, und er sieht Hanna in die Augen: »Du hast dich im Wald verirrt.«
    Sie schüttelt den Kopf. »Ich weiß, was ich tue«, erwidert sie. »Ich mache das hier, um Ivan freizubekommen. Und du würdest dasselbe für deine Rami tun.«
    Jan antwortet nicht.
    Leo , denkt er nur, wie kann ich Leo retten?
    Â»Jetzt tu es, Hanna«, befiehlt Rössel und hält ihr den Holzschaft des Spatens hin. »Zeig, wie stark du bist.«
    Hanna sieht den Spaten lange an, dann schließt sie die Augen. Sie bewegt sich nicht.
    Â»Ich kann nicht«, murmelt sie
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