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Snobs: Roman (German Edition)

Snobs: Roman (German Edition)

Titel: Snobs: Roman (German Edition)
Autoren: Julian Fellowes
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entschieden, bei seinen Eltern zu leben.
    Früher war Feltham vermietet gewesen, doch gegen 1890 hatte es die Familie als Jagdrevier wieder selbst in Gebrauch genommen und seitdem landwirtschaftlich genutzt, auch wenn die Jagd nach dem Krieg vernachlässigt worden war. Charles hatte das Revier in den letzten Jahren wieder jagdtauglich gemacht und war stolz, dass er nun Jagdtage mit zwei-, dreihundert Stück Federwild anbieten und sich darauf verlassen konnte, dass es keine größeren Enttäuschungen geben würde. Er und sein Wildhüter hatten hart gearbeitet. Dickicht
und Hecken waren neu gepflanzt, Futterstellen eingerichtet, die gesamte Landschaft mehr oder weniger in einen Zustand wie vor hundert Jahren versetzt worden. Trotzdem reizte es Charles nicht, seine eigenen Jagdgäste dorthin einzuladen. Sie kamen in den Genuss der Pracht von Broughton, während das Felthamer Jagdrevier tageweise an Geschäftsleute, Männer mit Handys und glänzenden Sportwagen, vermietet wurde. Für einen (erheblichen) Aufpreis konnte man dort sogar übernachten, was vielleicht erklärt, warum das Haus innen vage den Eindruck einer Pension erweckte.
    Ursprünglich war das vom damaligen Wykham, einem Favoriten König James’ I., erbaute Haus viel größer gewesen, doch der Beau des Königs hatte nicht vorgesorgt und sein Erbe hatte zwei Drittel wieder abreißen lassen (ein Neffe übrigens, da der Bauherr – kaum überraschend  – nie geheiratet hatte). Daher waren Mauerwerk und Schmuck der Fassade und des Inneren sehr viel erlesener als bei einem Haus dieser Größe üblich. Alle erstklassigen Möbel und Bilder waren jedoch längst nach Broughton abgewandert, und das meiste Mobiliar stammte aus der Zeit, als Feltham erneut als Jagdsitz genutzt wurde, also vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Als Sitzmöbel dienten klobige, lederbezogene Chesterfield-Sofas; die Wände waren mit zweitklassigen Porträts und riesigen, nicht besonders kunstvoll gemalten Szenen gepflastert, die die Treibjagd, die Rotwildjagd und andere ländliche Tötungsmethoden zum Gegenstand hatten. Dennoch wirkten die Räume selbst angenehm und das Treppenhaus, das so gut wie einzige Relikt aus den Tagen des königlichen Favoriten, war äußerst prunkvoll.
    Edith kannte das Haus kaum, für Charles erfüllte es in seiner wöchentlichen Runde eine Art Bürofunktion. Er betrachtete Feltham rein als geschäftliches Unternehmen, und abgesehen vom gelegentlichen Besuch des Dorffests und einer jährlichen Cocktailparty für alle Nachbarn, die die Jagd behindern könnten, falls man sie nicht ab und zu hofierte, trat er in der Grafschaft gesellschaftlich nicht in Erscheinung. Sehr häufig blieb er bei den Cumnors in ihrem erheblich größeren und luxuriöseren Haus, das vier Meilen entfernt lag, anstatt
dem alten Hausmeisterpaar die Mühe zu machen, ein Zimmer für ihn herzurichten.
    Caroline fuhr zum Vordereingang und die beiden Frauen traten in die große, düstere Eingangshalle, die zwei Drittel der Vorderfront einnahm. Sie war mit einem Fries geschmückt, das auf nicht ganz authentische Weise den Wappen der Wykhams und der Broughtons huldigte, ansonsten fehlte jegliche Farbigkeit, vom Braun der Täfelung und dem weniger schönen Braun der Ledermöbel abgesehen. »Charles!«, rief Caroline. Es war ein kalter Tag, und im Haus war es noch merklich kühler als draußen. Edith zog den Mantel enger um sich. »Charles!«, rief Caroline noch einmal und trat durch einen Durchgang, der erst zum Treppenhaus und dann zum ehemaligen Damenzimmer führte, das Charles nun als Büro benutzte. Edith folgte ihrer Schwägerin. Der Raum war mit Schreibtischen und Aktenschränken voll gestellt; die Kälte wurde von einem Heizstrahler im Kamin etwas abgemildert, der mit seinen drei Heizstäben aussah, als würde er allein durch seine Existenz sämtliche Sicherheitsnormen aufs Gröbste verletzen. Da ging die Tür gegenüber auf und unvermittelt stand Charles vor ihnen. Die Verwirrung war ihm ins Gesicht geschrieben. Erstaunt, ja erfreut registrierte Edith den Schock, den ihr seine Erscheinung versetzte. Vom eleganten Landaristokraten, der stets aussah, als wäre er zu Werbeaufnahmen für Burberry unterwegs, war nichts mehr übrig. Ihr sonst so penibler Ehemann wirkte vernachlässigt und ungepflegt. Fast schmutzig. Als er ihr Starren bemerkte, fuhr er sich mit den Fingern durch die Haare. »Hallo«, sagte er mit einem trüben Lächeln. »So eine Überraschung.«
    Caroline zog sich zurück.
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