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Small World (German Edition)

Small World (German Edition)

Titel: Small World (German Edition)
Autoren: Martin Suter
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diesem Abend, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. Barbara wohnte im vierten Stock, in einem Haus ohne Lift.
    »Ich weiß«, antwortete Barbara und half ihm aus dem Mantel.
    »Der Fürst war nämlich schwul.«
    »Ich weiß«, antwortete Barbara und ging in die Küche.
    »Das wußten aber nur Eingeweihte«, rief er ihr nach.
    »Ich weiß«, sagte Barbara und kam mit einem Glas Mineralwasser aus der Küche.
    »Habe ich dir das schon erzählt?«
    »Schon oft.«
    Barbara hätte sich ohrfeigen können, denn Konrads Augen füllten sich sofort mit Tränen. Sie wußte, wie wehleidig er in diesem Zustand war. Aber sie war müde und sauer. Über ihn, daß er so mit sich umspringen ließ, und über sich, daß sie ihn mitgenommen hatte.
    »Entschuldige«, sagte Konrad. Sie wußte nicht, ob er die Wiederholung meinte oder die Tränen.
    »Entschuldige dich nicht ständig. Wehr dich«, schnappte sie und hielt ihm das Glas hin. Konrad nahm es.
    »Was ist das?«
    »Trink.«
    Konrad trank gehorsam das Glas leer. Barbara schaute ihm zu und schüttelte den Kopf.
    »Warum machst du alles, was man dir befiehlt? Sag doch, nein, ich will kein Mineralwasser, ich will ein Bier mit Chrüter, sauf dein Mineralwasser selbst. Wehr dich doch, Herrgott!«
    Konrad zuckte die Schultern und versuchte zu lächeln. Barbara fuhr ihm übers Haar.
    »Entschuldige.«
    »Du hast ja recht.«
    »Ich weiß nicht. Komm ins Bett.«
    »Ich will aber nicht ins Bett, ich will ein Bier mit Chrüter, geh doch selbst ins Bett«, antwortete Konrad.
    »Vergiß es«, sagte Barbara.
    In dieser Nacht hatte Konrad Lang einen Traum. Er spielte Krocket im Park der Villa Rhododendron. Tomi war dabei und Elvira und seine Mutter, Anna Lang. Es war ein schöner, lauer Sommertag. Die Frauen trugen weiße Kleider. Tomi hatte kurze Hosen an und war sehr klein. Erst jetzt merkte Koni, daß er selbst auch nicht größer war.
    Sie waren ausgelassen und lachten viel. Tomi hatte die Kugel mit dem blauen Streifen, er die mit dem roten. Er war an der Reihe. Er traf die Kugel, sie rollte durchs Tor und immer weiter und weiter. Koni rannte ihr nach, bis sie eine Böschung erreichte und verschwand. Er folgte ihr ins Dickicht. Als er sie gefunden hatte, hatte er sich verlaufen. Immer tiefer verirrte er sich im Gebüsch, immer dichter wurde das Unterholz. Endlich öffnete es sich, und er trat ins Freie. Die Villa war verschwunden. Weit und breit keine Spur von den anderen. Er begann zu weinen und schluchzte laut. Jemand nahm ihn in die Arme und sagte: »Du mußt dein Leben ändern, sonst gehst du drauf.« Es war Barbara. Draußen wurde es schon hell.
    Nach dem Frühstück im Café Delphin ging er in seine Wohnung und schrieb Elvira Senn einen Brief.
Liebe Elvira,
gestern hatte ich einen Traum. Du und Anna und Tomi und ich spielten Krocket auf dem Rasen vor der Veranda, den der Gärtner (hieß er Herr Buchli?) immer extra vorher mähen mußte. Wir waren so glücklich und unbeschwert, Tomi hatte die blaue Kugel wie immer, und ich die rote. Du trugst das weiße Leinenkleid, das Dir Tomi beim Kirschenpflücken ruiniert hatte, aber in meinem Traum war es noch blütenweiß. Als ich erwachte, waren plötzlich alle Erinnerungen wieder da. Es kommt mir vor, als ob das alles erst gestern gewesen wäre, und ich frage mich: »Warum ist das alles so gekommen? Warum hast Du mich verstoßen? Wir waren doch einmal wie eine Familie. Warum kann es nicht wieder so werden? Warum muß ich auf meine alten Tage allein sein mit meinen Erinnerungen? Warum muß ich sie teilen mit wildfremden Menschen, die nicht wissen, wovon ich spreche?
Versteh mich nicht falsch, ich will nicht undankbar erscheinen. Ich weiß Deine Großzügigkeit zu schätzen. Aber dieses Leben halte ich nicht länger aus. Ich bitte Dich, Elvira: Verstoß mich ganz, oder verzeih mir und nimm mich wieder bei Euch auf.
    Dein verzweifelter Koni Lang
    Er las den Brief ein paarmal durch und konnte sich nicht entschließen, ihn abzuschicken. Er schob ihn in einen adressierten Umschlag, den er, ohne ihn zuzukleben, in die Brusttasche steckte. Beim Kaffee im Blauen Kreuz las er ihn wieder und beschloß, ihn nicht wegzuschicken. Viel zu weinerlich. Er steckte ihn wieder ein und vergaß ihn bis zum Apéro im Rosenhof. Dort begrüßte ihn Barbara mit der Frage: »Und? Was hast du vor, um dein Leben zu ändern?«
    »Ich hab Elvira Senn einen Brief geschrieben.« Er faßte ins Jackett und zeigte ihr das Kuvert.
    »Und warum nicht abgeschickt?«
    »Keine
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