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Sinfonie des Todes

Sinfonie des Todes

Titel: Sinfonie des Todes
Autoren: Armin Öhri / Vanessa Tschirky
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Situation war doch wirklich zu blöde! »Verstehst du mich?«, hakte er nach und blickte in zwei übernächtigte Augen. Ein mürrisches Knurren deutete zumindest an, dass sein Freund ihn vernommen hatte. Cyprian seufzte auf und sah sich ratlos um. Es war ersichtlich, dass Fichtner einige schlimme Stunden hinter sich hatte. Und nun war er hier, um die Sache noch fataler zu machen.
    »Gott, wie ich es hasse, dich das zu fragen«, meinte der Inspektor, »aber wo warst du diese Nacht, Robert?«
    Der Sektionsrat blickte ihn ausdruckslos an. »Ich war hier, hier in meiner Wohnung. Gestern erst angekommen.«
    Mit der despotischen Schärfe eines Scharfrichters in der Stimme meinte Cyprian: »Und du kannst das beweisen? Robert, verstehst du mich? Hast du Zeugen? Irgendwen, egal wen?«
    Ganz außer Fassung gebracht durch Warnstedts unverwandten Blick, stand Fichtner auf und suchte in seiner Hose nach einem Taschentuch, mit dem er sich kraftlos die Stirn wischte. Die Behandlung, die ihm sein alter Weggefährte angedeihen ließ, passte ihm überhaupt nicht. »Um Gottes willen, sprich nicht in diesem Ton mit mir und sag mir einfach, was los ist.«
    »Robert«, erwiderte Cyprian unglücklich, »wir haben deinen Bruder gefunden.«
    »Was heißt das: gefunden?«, wiederholte er aufgebracht. Doch die langjährige Erfahrung, die sein ehemaliger Beruf mit sich gebracht hatte, verriet ihm die Katastrophe, die nun über ihn hereinstürzen würde, und Robert sank langsam in den Sessel zurück.
    Der Inspektor fasste nach seinen Händen und hielt sie ganz fest. »Er ist tot, Robert«, erklärte er und fühlte sich miserabel dabei. »Er starb vergangene Nacht – wahrscheinlich ermordet.« Das Gesicht, in das Warnstedt blickte, war wächsern und krank, die Augen erloschen, beinahe tot. Mit einfacher, sachlicher Stimme begann der Inspektor zu erzählen, was vorgefallen war, erwähnte die Nuancen und Details des Vorfalls und verwirrte den Sektionsrat schließlich mit seiner nunmehr kalten und ausdruckslosen Professionalität.
    Mit der Zeit begriff Fichtner, was sich zugetragen hatte, und wurde sich der ganzen Tragweite dessen bewusst, was ihm Warnstedt unentwegt mitzuteilen versuchte. Langsam, wie ein Ankläger, musterte er diesen Menschen, diesen Eindringling, der ihn in seiner Wohnung behelligte und der Bote einer solch schrecklichen, sinnlos brutalen Nachricht war. Gedanken schossen ihm durch den Kopf, wilde, sich überschlagende Gedanken, die wie Blitzlichter aufflackerten und wieder erloschen. Er rang verzweifelt nach einer passenden Erwiderung, aber alles, was in ihm hochkam, waren die Bilder eines schwarzen Ungetiers, das an seiner Hand nagte.
    Also blieb er stumm.
    Cyprian sah allmählich ein, dass es keinen Sinn mehr hatte, den Schwindsüchtigen zu quälen. Sein Blick wurde sanfter, und gelegentlich erweichte ein schwaches Lächeln seine Miene. Zuletzt stand er auf, räusperte sich verlegen, nachdem er sich noch einmal im Zimmer umgesehen hatte, und meinte: »Du musst dich zu unserer Verfügung halten, Robert. Ich melde mich bei dir, sobald du aller Voraussicht nach wieder auf den Beinen bist.«
    Sie verabschiedeten sich mit einem Händedruck, und die tröstliche Aussicht auf eine Schale Melange – die erste an diesem Morgen – machte Cyprian den Weg leichter.
     
    Eine ungewohnte Leere hatte sich seiner bemächtigt, sowie er wieder allein war. Er versuchte, den Worten des Inspektors einen Sinn zu geben, doch alles, was er begriff, war der unumstößliche Umstand, dass Wilhelm wahrscheinlich ermordet worden war. Robert wollte der unleugbaren Wirklichkeit ins Auge sehen, doch nahm er bloß den Zweifel und die innere Unruhe wahr, die von ihm Besitz ergriffen, sobald er an die Ereignisse der letzten Nacht dachte. Noch immer spukten sie in seinem Kopf herum.
    Hatte er nicht den eigenen Bruder gesehen, ihn zu sich in die Wohnung gebeten? War dies alles ein Traum gewesen? Sehr bald begann er mit dem systematischen Durchsuchen seines Salons. Er durchwühlte seine Kleider, hob Kissen und Möbelbezüge an, spähte in Schränke und Schubladen, schob die Sessel durchs Wohnzimmer – und verzagte schließlich doch. Alles, was ihm von der vergangenen Nacht geblieben war, waren ein paar schäbige Pilzreste, die er sorgsam in seinem umgeschlagenen Taschentuch verwahrte und in die Hosentasche schob.
    Wenig später, als ihn wieder ein melancholischer Gleichmut erfasst hatte, wie er wohl nur einem Wiener eigen sein konnte, begab er sich in die
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