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Sind wir bald da

Sind wir bald da

Titel: Sind wir bald da
Autoren: Clemens Haipl
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ausarbeiten, eine Zeichentrickserie erfinden und fertigstellen, zwei Bands produzieren, einen Cartoon für eine Zeitung konzipieren und schreiben, ein Theaterstück schreiben, an die Sonne gehen, für meinen inneren Frieden sorgen, ausgeglichener werden usw. Um es kurz zu machen: Ich bin mit meinen Vorhaben wieder einmal grandios gescheitert.
    Vielleicht war es doch zu viel für einen Tag. Ich sollte mir vielleicht weniger vornehmen oder kleinere Dinge, dann sind die Erfolgserlebnisse größer. Schuhe binden. Oder Zähneputzen. Einen Tee trinken und Blumen gießen. Das sind zum Beispiel Dinge, die ich an einem Tag erledigen könnte.
    Ich habe immerhin ein Lied aufgenommen. Ist ja auch der Tag der Arbeit, da kann man Fünfe auch mal gerade sein lassen. Ansonsten surfe ich ausgiebig im Internet, checke E-Mails und programmiere sehr viel Musik. Wenn ich nicht genau wüsste, dass es nicht stimmt, könnte ich glauben, ich sei Musikproduzent und Computertechniker. Irgendetwas läuft da falsch.

A usserdem

    Ich habe per E-Mail zugesagt, bei einer Benefizgala für Immigranten aus Afrika aufzutreten. Nicht weil ich glaube, dass ich nicht schon genug mache, oder weil ich mich für einen besonders guten Menschen halte, nein: Ich soll etwas zum Verlosen hergeben. Weil ich nichts habe, was fremde Menschen gerne in einer Tombola gewinnen würden, habe ich versprochen, eine Rolle in meinem nächsten Buch zu verlosen. Mal sehen, wer gewinnt. Außerdem: Wenn ich mir schon Gedanken mache, wie man die innere Mitte findet, Weltfrieden und Glück erlangt, dann ist so eine Benefizgala, wo den Beteiligten vor lauter Gutheit das Wasser in den Augen steht und wo der Speichel in Strömen fließt, sicher keine schlechte Inspiration. Karmapunkte sammeln und so.
    Am Abend dann Essen in einem Lokal für etwas bessere Leute außerhalb von Wien. Meine Schwiegermutter hat einen Geburtstag, den es zu feiern gilt. Für gewöhnlich lässt man zu solchen Anlässen einen durchschnittlichen Mittelklassewagen in der Küche irgendeines Nobelrestaurants. Und ich muss zugeben, obwohl ich mir selbst nie einen solchen Gourmettempel leisten würde — meistens schmeckt es tatsächlich beeindruckend.
    Diesmal beeindruckt das Lokal der Wahl mit der Mitteilung in der Speisekarte, dass einmal im Monat nach original antiken römischen Rezepten gekocht wird. (Ha, ein Zeichen! Die Römer haben schließlich den hl. Jakob geköpft.) Heute leider nicht. Schade, ich hätte gerne gewusst, was man fachgerecht isst, wenn man Gladiatoren dabei zusieht, wie sie mit Schwertern Gedärme umrühren, während mir eine germanische Sklavin Luft zufächert.
    Die Enttäuschung verblasst aber neben der grenzenlosen Begeisterung über die sagenhaft unfreundliche Chefin. Tadellose Optik, Stil »Internatsoberin«. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass man als Gast ausgesprochen ungebeten ist. Dass man einen Tisch für acht Personen reserviert hat, ist ihr unendlich egal. Ihre Stimme hat die Lautstärke und die Bestimmtheit einer Antiterroreinheit am Megafon (»Ergeben Sie sich, das Haus ist umstellt !« ) und ihre Hantigkeit wird nur mehr von ihrer augenscheinlichen Eitelkeit übertroffen. Am Weg zur Toilette hängen gut einsehbar Urkunden und Lotos mit niederösterreichischen Lokalpolitikern. Ein recht bekannter Architekt, der sich aus welchen Gründen auch immer seit Jahrzehnten als Karikaturist geriert und es vielleicht auch irgendwann lernen wird, hat eine Zeichnung abgelaicht. Widmungen von Tourismus- und Gastronomieverbandspräsidenten, gehetzt dreinblickende Lokalprominenz, die sich gerade wieder gegenseitig irgendeinen Krämerpreis oder Fördergeld zugeschanzt hat... und mittendrin immer wieder die gestrenge Internatsoberin. Sie sieht gut aus, keine Frage, aber ich bin mir sicher, dass sie jedes Mal, bevor eines dieser Fotos gemacht worden ist, ein paar Walnüsse mit ihren Pobacken geknackt hat, um ein wenig Entspannung in ihr Antlitz zu zaubern. Gelungen ist es ihr nicht.
    Sollte ich jemals auf der Flucht vor den Ägyptern das Rote Meer durchqueren müssen, werde ich ein Foto von der Internatsoberin herzeigen. Das Wasser wird die Luft anhalten, sich teilen und regungslos verharren, bis ich durchgeschritten bin. Irgendwann, wenn ich schon längst an Land und in Sicherheit bin, wird ein Fisch um die Ecke lugen und rufen: » Tschief , sie ist weg !« Das Wasser wird erleichtert ausatmen und wie eine Sturzwelle über den Sinai schwappen. Und all das wegen der gestrengen
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