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Silbermantel

Titel: Silbermantel
Autoren: Guy Gavriel Kay
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auf die Wunde. Leise sprach er ein Wort, dann ein zweites. Und unter seinen langen, schmalen Fingern begann die Schwellung an der Schulter des Zwerges langsam zurückzugehen. Als er fertig war, war Matt Sörens Gesicht jedoch in Schweiß gebadet. Mit dem gesunden Arm griff er nach einem Handtuch und wischte sich die Stirn.
    »Alles in Ordnung?« fragte Loren. »Alles in bester Ordnung.« »Alles in bester Ordnung!« äffte der Magier ihn ärgerlich nach. »Weißt du, es wäre hilfreich, wenn du nicht immer den schweigsamen Helden spielen wolltest. Wie soll ich denn wissen, wann es dir wirklich schlecht geht, wenn du mir immer mit der nämlichen Antwort kommst?«
    Der Zwerg fixierte Loren mit seinem einen dunklen Auge, und sein Gesicht zeigte eine Spur von Belustigung. »Das sollst du ja gerade nicht«, erwiderte er. »Du sollst es ja gar nicht wissen.« Loren machte eine Handbewegung, die seine hilflose Verbitterung verriet, dann verließ er noch einmal das Zimmer und kam mit einem seiner eigenen Hemden zurück, das er in Streifen zu schneiden begann.
    »Loren, du darfst dich nicht dafür verantwortlich machen, dass der Svart mit herüberkommen konnte. Du hättest es nicht verhindern können.«
    »Sei nicht töricht! Ich hätte seine Anwesenheit bemerken müssen, sobald er versuchte, den Kreis zu betreten.«
    »Ich bin selten töricht, Freund.« Die Stimme des Zwerges klang sanft. »Du konntest es nicht bemerken, weil er das hier bei sich hatte, als ich ihn getötet habe.« Sören griff in seine rechte Hosentasche, zog einen Gegenstand daraus hervor und hielt ihn in der offenen Hand ans Licht.
    Es handelte sich um einen Armreif, kunstfertig aus Silber geschmiedet, in den ein Edelstein eingelassen war, grün wie ein Smaragd.
    »Ein Vellinstein!« flüsterte Loren Silbermantel bestürzt. »Demnach war er vor mir abgeschirmt. Matt, jemand hat einem Svart Alfar einen Vellin überlassen!«
    »Es sieht so aus«, stimmte der Zwerg zu. Der Magier schwieg; mit raschen, geschickten Handgriffen machte er sich daran, Matts Schulter zu verbinden. Als er damit fertig war, ging er, immer noch wortlos, zum Fenster hinüber. Er öffnete es, und eine spätabendliche Brise bauschte die weißen Vorhänge. Loren blickte auf die wenigen Autos hinab, die sich weit unten auf der Straße dahinbewegten.
    »Diese fünf Menschen«, fragte er sich endlich, ohne sich vom Fenster abzuwenden. »Was steht ihnen bevor, wenn ich sie mit zurücknehme? Habe ich überhaupt ein Recht dazu?« Der Zwerg gab keine Antwort.
    Einen Augenblick darauf sagte Loren noch etwas, wie zu sich selbst. »Ich habe so vieles verschwiegen.«
    »Das hast du.« »War das falsch?«
    »Vielleicht. Aber deine Entscheidungen sind in solchen Dingen selten falsch. Genauso wenig wie die von Ysanne. Wenn du der Meinung bist, sie würden gebraucht –«
    »Aber ich weiß nicht, wozu! Ich weiß nicht wie. Wir haben nichts als ihre Träume, meine Vorahnungen …«
    »Dann habe Vertrauen zu dir. Vertraue deinen Vorahnungen. Das Mädchen ist, was man eine Klammer nennt, und der andere, Paul –«
    »Er ist auch etwas Besonderes. Ich weiß nur nicht was er darstellt.«
    »Immerhin etwas. Seit langem bist du nun schon besorgt, Freund. Und nicht zu Unrecht, meine ich.«
    Der Magier wandte sich vom Fenster ab, um dem anderen ins Gesicht zu sehen. »Ich fürchte, du hast recht. Matt, wer könnte uns hierher verfolgen lassen?«
    »Jemand, dem daran gelegen ist, dass du in dieser Sache scheiterst. Was uns eigentlich einiges klarmachen sollte.«
    Loren nickte geistesabwesend. »Aber wer«, fuhr er fort und betrachtete den Armreif mit dem grünen Stein, den der Zwerg immer noch in der Hand hielt, »wer würde einem Svart Alfar ein solches Kleinod überlassen?«
    Auch der Zwerg besah sich lange den Stein, ehe er antwortete.
    »Jemand, der deinen Tod wünscht«, sagte Matt Sören.
     

 
Kapitel 2
     
    Schweigend teilten sich die Mädchen ein Taxi nach Westen hinaus, zu der Wohnung am High Park, die sie gemeinsam gemietet hatten. Unter anderem deshalb, weil sie ihre Mitbewohnerin sehr genau kannte, beschloss Jennifer, keinesfalls als erste davon anzufangen, was in dieser Nacht vorgefallen war und was sie offenbar beide hinter den Worten des alten Mannes entdeckt hatten.
    Dennoch hatte sie mit ihren eigenen widerstrebenden Gefühlen zu tun, während sie in den Parkside Drive einbogen und man rechts die dunklen Schatten des Parks vorübergleiten sah. Als sie endlich aus dem Taxi stiegen, wirkte die
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