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Silberlinge

Silberlinge

Titel: Silberlinge
Autoren: Jim Butcher
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sogar selbstlose Motive – das konnte ich nachvollziehen, es änderte bloß nichts. Marcones gute Absichten waren doch nur eine neue Fahrbahn auf dem Weg zur Hölle.
    Aber verdammt, irgendwie konnte ich ihn nicht mehr hassen, denn ich war nicht sicher, ob ich mich nicht in seiner Situation genauso verhalten hätte.
    Hass war einfacher, nur so simpel ist die Welt nicht. Ja, es wäre leichter gewesen, Marcone weiter zu hassen.
    Es gelang mir nicht.
    Ein paar Tage später, das Grabtuch war mittlerweile bei Vater Forthill angekommen, gab Michael zum Abschied für Sanya, der nach Europa zurückkehren wollte, eine Grillparty. Ich aß ungefähr hundertfünfzig Hamburger, und als ich fertig war, ging ich ins Haus.
    Sanya saß im vorderen Wohnzimmer in einem bequemen Sessel und starrte nachdenklich das Telefon an. »Weiter«, sagte er.
    Molly hockte im Schneidersitz neben ihm auf dem Sofa, ein aufgeschlagenes Telefonbuch auf den Knien, auf einer Seite meine Einkaufsliste ausgebreitet, die sie im Baumhaus aufgehoben hatte. Ihre Miene war ernst, doch ihre Augen blitzten, als sie mit rotem Stift einen Eintrag markierte. »Wie seltsam«, sagte sie und las ihm eine weitere Nummer vor.
    Sanya wählte. »Hallo?«, sagte er gleich darauf. »Hallo, Sir. Könnten Sie mir bitte sagen, ob Sie Prince-Albert-Tabak in einer…« Verdutzt blinzelte er und berichtete Molly: »Der hat auch schon wieder aufgelegt.«
    »Verrückt.« Molly zwinkerte mir zu.
    Ich zog mich zurück, ehe ich an meinem unterdrückten Lachen erstickte, und ging zum Vorgarten hinaus. Dort spielte ganz allein, allerdings in Sichtweite seiner Schwester, der kleine Harry im Gras.
    »He, mein Junge«, sagte ich. »Du solltest nicht allein hier draußen spielen, sonst werfen die Leute dir noch vor, du seist ein eigenbrötlerischer Irrer, und irgendwann holen sie dich ab.«
    Auf einmal hörte ich etwas klimpern, und direkt vor Harry landete etwas Silbernes im Gras. Er stand sofort auf, schwankte ein wenig und marschierte darauf zu.
    Erschrocken rannte ich los, überholte ihn und legte die Hand auf die polierte Silbermünze, ehe der Junge sich hinhocken und sie aufheben konnte. Ein Energiestoß durchfuhr meinen Arm, und irgendwie hatte ich auf einmal das Gefühl, dass in der Nähe jemand von einem Nickerchen aufwachte und sich reckte.
    Als ich aufschaute, bemerkte ich auf der Straße einen Wagen, auf dessen Fahrerseite das Fenster heruntergekurbelt war.
    Nikodemus lächelte mich an. »Wir sehen uns, Dresden.«
    Dann fuhr er weg. Ich nahm die zitternde Hand von der Münze.
    Es war Lasciels Siegel. Als ich hörte, wie hinter mir jemand die Tür öffnete, schnappte ich mir instinktiv die Münze und steckte sie ein. Sanya kam heraus und blickte mit gerunzelter Stirn die Straße hinauf und hinunter. Seine Nasenflügel bebten, dann kam er zu mir. Er schnüffelte einige Male und betrachtete den Jungen. »Ah«, grollte er. »So ein kleiner Stinker.« Er hob das Kind auf, das quietschte und lachte. »Darf ich Ihren Spielgefährten entführen, Harry?«
    »Nur zu«, sagte ich. »Ich muss sowieso gehen.«
    Sanya nickte und gab mir grinsend die Hand. Ich schlug ein. »Es war mir eine Freude, mit Ihnen zusammenzuarbeiten«, sagte Sanya. »Vielleicht sehen wir uns mal wieder.«
    Die Münze lag kühl und schwer in meiner Tasche. »Ja. Vielleicht.«
    Ich verließ die Party, ohne mich zu verabschieden, und fuhr nach Hause. Die ganze Zeit über war mir, als hörte ich ein sehr leises Flüstern. Ich unterdrückte es, indem ich falsch und laut sang, und machte mich an die Arbeit.
    Zehn Stunden später legte ich die Spitzhacke weg und betrachtete erschöpft das einen halben Meter tiefe Loch, das ich in den Betonboden meines Labors gehackt hatte. Das Flüstern im Kopf hatte sich inzwischen in »Sympathy for the Devil« von den Stones verwandelt.
    »Harry«, flüsterte eine sanfte Stimme.
    Ich warf die Münze in das Loch, legte einen zehn Zentimeter großen Stahlring darum, murmelte leise und schickte meine Willenskraft in den Ring. Das Flüstern erstarb sofort.
    Als Nächstes kippte ich zwei Eimer Beton darüber und glättete ihn, bis er mit dem Fußboden abschloss. Dann eilte ich aus dem Labor und schloss hinter mir die Falltür.
    Mister kam zu mir und forderte Aufmerksamkeit. Ich ließ mich auf dem Sofa nieder, und er legte sich quer über meine Beine auf den Rücken. Ich streichelte ihn und starrte Shiros Stock an, der in einer Ecke stand.
    »Er sagte, ich müsse in einer Welt voller Grautöne
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