Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silberhuf

Silberhuf

Titel: Silberhuf
Autoren: Alan Winnington
Vom Netzwerk:
meine . . . stell dir vor, mit mir ginge irgend etwas schief, ich säße einfach fest, egal wo ich mich befände, und die nächste Person, die zufällig vorbeikommen würde . . . ohne Zweifel, sie würde mich zerstören. Aber es ist nicht nur das. In der kurzen Zeit, in der ich von euch getrennt war, fand ich es auch wirklich endlos langweilig. Meineeinzige Beschäftigung war Radio hören. Und jeder englischsprachige Sender war voll von Propaganda oder Popmusik. Dadurch wurde ich auch sehr passiv. Ich nehme an, ein Gehirn wie das meine muß ständig benutzt werden, wenn es nicht einrosten soll.“
    Mein Vater rief: „Dieser Fasan ist genau, wie er sein muß. Was habt ihr beide da zu tuscheln?“
    Ich erzählte es ihm.
    Wie bei Vater üblich, wenn er Entschlüsse faßte, forderte er auch Silberhuf auf, daß er alles noch einmal sorgfältig überlegen und das Für und Wider bedenken sollte, so daß am Ende Silberhuf meinen Vater überzeugen mußte, daß es gut wäre, wenn er mit uns käme.
    Während Vater und ich uns den Fasan schmecken ließen, unterhielten wir uns über die Reise, über die Zugfahrt und das Schiff, über meine Mutter und England und das Fernsehen. Vater sagte, Silberhuf könne Unterricht erteilen und vielleicht sogar den Mittleren Osten bereisen. Dabei könnte er versuchen, den Ort ausfindig zu machen, wo sein ehemaliger Meister Mohammed Hassan gearbeitet hatte.
    „Du wirst eins der wenigen Weltwunder sein, altes Haus“, sagte Vater.
    „Oh, und vielleicht gehen wir auch nach Peking, und du könntest den Sommerpalast besuchen, an dessen Aufbau du ja in gewisser Weise nicht ganz unschuldig bist. Gewiß, seit jenen Tagen hat sich in China vieles verändert.“
    Nach all diesen Gesprächen konnte Silberhuf den Abmarsch nicht mehr erwarten, und er bedauerte jede Minute der Verzögerung. Es war heller Mondschein, und er hätte vierundzwanzig Stunden am Tage ohne anzuhalten laufen können, aber wir mußten ja essen und schlafen.
    Am nächsten Tag vereinte sich der schmale Pfad mit einem größeren, und der Fluß, dem wir gefolgt waren, stürzte in eine enge, tiefe Bergschlucht zu unserer Rechten hinunter. Die neuen Pässe waren schmal und felsig, und zu unserer Linken setzte sich die Bergschlucht, senkrecht nach oben gerichtet, fort. Manchmal buchtete sie sich nach innen aus und schwebte über unseren Köpfen. Von unten erklang das unaufhörliche Brausen des Flusses.
    Bald trafen wir wieder auf Bäume, die sich an der Felsenwand fest anklammerten, dort, wo der Sämling es fertiggebracht hatte, Wurzeln in die Felsspalten hineinzudrängen. An einer Stelle ritten wir unter einem Wasserfall hindurch, der von der steilen Klippe herunterschoß. Er stürzte sich glitzernd in den Fluß, so daß es aussah, als ob er sich dort unten seinen eigenen kleinen Regenbogen machte.
    Als wir einen Gebirgsvorsprung auf unserer Fahrt umgingen, trafen wir auf das erste Zeichen menschlicher Aktivität — eine Brücke, die über die Bergschlucht führte.
    Hier wurde unser Weg für kurze Zeit durch Felsen unterbrochen. Er nahm seinen Lauf erst auf der gegenüberliegenden Seite der Bergschlucht wieder auf. Die Brücke war etwa zehn Meter lang und sehr primitiv: Aus einfachen Ranken, die in dieser Gegend wachsen, hatte man zwei Taue zusammengewunden, darauf Unmengen von Buschwerk gelegt und das Ganze mit Erdklumpen beschwert — das war alles. Die Tauenden verschwanden auf jeder Seite unter zwei hoch aufgetürmten Haufen von Felsbrocken. Es war gerade soviel Platz für eine Person oder ein Pferd, um auf die Brücke zu gelangen. Sie hatte keine Laufstange und sah alt und hinfällig aus. Meine Angst darüberzugehen, muß sich deutlich auf meinem Gesicht abgezeichnet haben.

    „Ich glaube, wir müssen rüber, Jack“, sagte Vater mitfühlend, „umzukehren wäre zu gefährlich. Wir gehen zu Fuß und führen die Pferde.“
    Ich schluckte ein paarmal und fragte: „Und was soll mit Silberhuf geschehen?“
    Das Pferd antwortete für sich selbst. „Weil ich am schwersten bin, gehe ich am besten als letzter. Wenn sie unter mir zusammenbräche, könnte keiner mehr über die Brücke gehen.“
    Es gab keinen Ausweg. Wir knoteten uns ein extra langes Yakwollseil, mit dem ich meine Zügel um etwa drei Meter verlängerte. Ich mußte als erster gehen und mein Pferd in entsprechendem Abstand hinter mir herführen, damit das Gewicht gleichmäßig verteilt war.
    „Eile mit Weile, Jack, und vor allem, sieh nicht nach unten“, lautete Vaters
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher