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Sieh dich um: Thriller (German Edition)

Sieh dich um: Thriller (German Edition)

Titel: Sieh dich um: Thriller (German Edition)
Autoren: Jon Osborne
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unbeschreiblich dumm. Die Schlösser an der Wohnungstür gehörten zu den wenigen Dingen, die noch funktionierten, und die Einzigen – außer ihr selbst –, die einen Schlüssel hatten, waren ihre Kinder.
    Leider jedoch hatte Stephanie sich nicht die Zeit genommen, um kurz über diese Ungereimtheiten nachzudenken. Nicht eine Sekunde. Stattdessen hatte sie nur daran denken können, das Mobiltelefon zu verkaufen und vielleicht an diesem Tag noch etwas zu essen zu bekommen. Irgendetwas, das den ständigen, unablässig nagenden Hunger lindern würde.
    Heiße Tränen schossen Stephanie angesichts der deprimierenden Erkenntnis in die Augen, wie tief sie tatsächlich gesunken war, seit Don sie verlassen hatte. So tief, wie ein Mensch nur sinken konnte. Sie wünschte sich sehnlichst, diesem verräterischen Lügner niemals begegnet zu sein, wünschte sich, in der Zeit zurückreisen zu können bis zu jener Nacht, in der sie törichterweise bereit gewesen war, in der berstend vollen, erstickend heißen Sporthalle der St. Bonaventure Highschool in Queens eng mit dem Kerl zu tanzen. Damals hatte sie die leise, nagende Stimme in ihrem Hinterkopf ignoriert, die sie die ganze Zeit über ermahnt hatte, sich von Don und seinem alkoholschwangeren Atem so fern wie möglich zu halten. Und sie wünschte sich verzweifelt, dieses elende Mobiltelefon nie angerührt zu haben. Aber sie hatte all diese Dinge getan, und nun bezahlte sie in jeder Hinsicht den Preis dafür.
    Kaum hatte Stephanie das Telefon an jenem Morgen aufgehoben, hatte es in ihrer Hand gesummt. Vor Schreck hätte sie es beinah fallen lassen.
    Viele Menschen sagen, dass sich in Momenten großer Angst ihr ganzes Leben innerhalb weniger Sekunden vor ihren Augen abspielt. Stephanie hingegen hatte an ein Mittagessen bei Subway gedacht. Vielleicht sogar ein Dinner bei McDonald’s. Nur Mut zu großen Träumen, Rockefeller.
    Mobiltelefone stellten nicht mehr die begehrten Statussymbole von früher dar – selbst Zehnjährige besaßen dieser Tage welche –, trotzdem war Stephanie sicher, dass sie wenigstens zwanzig Mäuse dafür bekommen konnte. Vielleicht sogar fünfundzwanzig, wenn sie Glück hatte. Genug Geld, um die nächsten zwei Tage zu überstehen, mindestens.
    Die Nummer auf dem Display hatte als Vorwahl 212 angezeigt und ihr verraten, dass der Anruf von irgendwo aus New York City stammte. Aus reiner Gewohnheit hatte sie das Telefon aufgeklappt und ans Ohr gehalten. Eine männliche Stimme mit leicht ausländisch klingendem Akzent hatte sich gemeldet.
    »Hör jetzt gut zu, Stephanie …«, hatte der Anrufer gesagt.
    Während er redete, saß sie wie erstarrt mit dem Handy am Ohr da. Sein Tonfall war beinah einschläfernd. Keine Theatralik, kein Gebrüll, keine leeren Drohungen. Nur eine profane Aufzählung von Aufgaben, die sie zu erfüllen hatte, und sie würde ihre Kinder zurückbekommen. Ganz einfach, oder?
    Als er fertig gewesen war, hatte alles völlig logisch geklungen.
    Jetzt hingegen ergab es nicht mehr den geringsten Sinn. Nicht ein Teil seiner Anweisungen klang auch nur halbwegs geistig normal. Doch durch ihre überhastete Entscheidung, das Telefon zu ergreifen, hatte sie sich jeder Option beraubt.
    Stephanie blickte die geschäftige Straße hinauf und hinunter. Auf den Bürgersteigen wimmelte es von Menschen. Sie wusste, dass der unbekannte Anrufer irgendwo da draußen war und sie beobachtete. Stephanie hob das Kinn, schirmte die Augen mit einer Hand gegen den Regen ab und sah suchend zu den hell erleuchteten Schildern und Reklametafeln hinauf. Befand er sich vielleicht dort in dem Kaufhaus auf der anderen Straßenseite? Oder im siebzigsten Stock des mächtigen Bankhochhauses gleich daneben? War er vielleicht das dort? Eine dunkle Gestalt in einem der Fenster des Gebäudes, die von ihrem hohen Aussichtspunkt auf sie herabblickte – in beiderlei Sinn des Wortes? Genau so, wie mehr oder weniger jeder auf der Welt auf sie herabblickte? Oder saß er in dem durchgehend geöffneten Speiselokal zwanzig Meter weiter links und verdrückte unbekümmert ein üppiges Gyros, während er jeden ihrer Schritte sorgfältig beobachtete?
    Wo immer er sein mochte, Stephanie konnte seine perversen Blicke beinah körperlich spüren, die sie vergewaltigten wie die billige Zwanzig-Dollar-Nutte, zu der sie noch nicht ganz verkommen war – nicht, dass sie in ihren schwächeren Augenblicken nicht ernsthaft über diese Möglichkeit nachgedacht hätte. Hunger konnte eine extrem
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