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Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch

Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch

Titel: Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch
Autoren: Kai Meyer
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hinauf.
    Nur einmal schaute Lisa sich um. Hinter dem Dach, das sie zuletzt passiert hatten, erhob sich der schwarze Schädel des Dämons. Sein Schnabel sah aus, als sei er vor Zorn dunkel angelaufen; er hatte jetzt die Farbe von geronnenem Blut.
    Sie erreichten den Dachfirst. Es war verlockend, einfach darüber hinwegzuspringen und auf der anderen Seite hinunterzurutschen.
    Aber sie wussten beide, dass in der nächsten Senke das Nest des Teufelsstorchs lag, aus Dornenzweigen, die nicht von dieser Welt stammten, mit Stacheln, die nur darauf warteten, ungeduldige Eindringlinge aufzuspießen.
    Nein, sie würden behutsamer vorgehen müssen.
     

Der Dämon hatte schon die halbe Strecke bis zu seinem Nest zurückgelegt. Noch ein paar Sekunden, dann würden Lisa und Chris seine rasiermesserscharfen Krallen zu spüren bekommen. Die Zeit lief ihnen weg, sie mussten schneller sein, entschlossener … Die beiden glitten gleichzeitig über den Kamm hinweg, hinunter zum Nest.
    Sie erstarrten.
    Das Nest ruhte unverändert in der Senke. Teerfarbene Zweige glitzerten wie Stahl im grellen Sonnenlicht. Dornen stachen wie Schwerter empor.
    Doch etwas anderes hatte sich verändert.
    Die Eier waren aufgebrochen. Die schwarzen Schalen lagen zersplittert im Zentrum des Nests.
    Die Brut des Dämons war geschlüpft.Aber wo steckte sie? Nichts rührte sich, keine Spur von Leben. Die Jungen mussten bereits ausgeschwärmt sein, trieben sich vielleicht irgendwo im Haus herum.
    Das Kreischen des Storchs wurde ohrenbetäubend, als er vor Lisa und Chris seine Schwingen öffnete. Sein Schnabel war hoch erhoben, eine Waffe vor dem Todesstoß.
    Chris packte Lisas Hand. Sie drängte sich an ihn.
    Die weißen Pupillen des Storches schienen noch heller zu werden. Sein Zorn schlug um in Triumph.
    So nah bei Chris, dachte Lisa wie betäubt. Und so gut wie tot.
    War das vielleicht Gerechtigkeit?

Vier Monster und ein Toter
    »Was ist das?«, flüsterte Nils erschrocken.
    Kyra, die den Kerzenleuchter hielt, blieb wie angewurzelt stehen. »Woher soll ich das wissen?«
    Die schabenden Laute waren verklungen, und jetzt brach auch das leise Atmen ab. Was immer dort vor ihnen in der Finsternis gewesen war, es lebte. Wartete. Und hatte nach zweihundert Jahren gewiss einen Bärenhunger. Kyra überlegte, ob sie die Kerzen löschen sollte. Im Schein der Flammen gaben sie vortreffliche Zielscheiben ab für alles, was tödlich war: Krallen, Fangzähne, Schnabelhiebe.
    »Glaubst du, er ist das?«, fragte Nils mit schwankender Stimme.
    »Der Storch? Hier unten?«
    Nils gab keine Antwort. Kyra spürte, dass er ebenso wie sie selbst drauf und dran war, sich einfach umzudrehen und davonzulaufen.
    Denk an Lisa und Chris, ermahnte sie sich. Sie vertrauen dir.
    Aber wenn sie tot war, konnte sie auch nichts mehr für die beiden tun. Angestrengt lauschte sie ins Dunkel. Nichts rührte sich.
    »Und wenn es nur der Wind war?«, fragte sie.
    Nils wirkte nicht sonderlich beruhigt. »Das klang aber nicht wie Wind.«
    »Wie wär’s mit Ratten?«
    »Hast du schon mal Ratten atmen hören?«
    »Vielleicht eine Ratte mit Schnupfen.« Kyra unterdrückte ihre Furcht und machte einen weiteren Schritt nach vorne. »Komm schon. Wer weiß, wie lange Lisa und Chris ihn hinhalten können.«
    Es war sehr kühl hier unten. Trotzdem wischte sich Nils mit dem Ärmel Schweiß von der Stirn.
    Der Appell an seine Verantwortung für seine Schwester und Chris zeigte Wirkung. Er schloss zu Kyra auf, und gemeinsam gingen sie weiter.
    Der Gang schien kein Ende nehmen zu wollen. Nur ein einziges weiteres Mal hörten sie raschelnde Laute aus der Dunkelheit. Als Kyra blitzschnell die Kerzen in die entsprechende Richtung hielt, sahen sie etwas Kleines, Dunkles in den Schatten verschwinden. Also doch Ratten.
    Oder nicht?
    Plötzlich brachen die Mauern rechts und links von ihnen ab. Der Korridor weitete sich zu einem Raum. Er war nicht groß, alle vier Wände waren undeutlich am Rande des Lichtkreises zu erkennen. Nicht weit vom Eingang befand sich ein morsches Bücherregal. Die Bände darin sahen aus, als würden sie bei der leichtesten Berührung zu Staub zerfallen.
    Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein Durchgang, der in einen weiteren Tunnel führte.
    Ein schrilles Kreischen ertönte.
    »Das ist –«, entfuhr es Nils. Ihm blieb keine Zeit, die Warnung zu beenden.
    Kyra duckte sich instinktiv. Etwas sauste über ihren Kopf hinweg, verfing sich in ihren Haaren und riss sie nach hinten. Sie schrie
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