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Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch

Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch

Titel: Sieben Siegel 02 - Der schwarze Storch
Autoren: Kai Meyer
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sie im Chor. Immer wieder seinen Namen.
    Aber Nils gab keine Antwort.
    Fast eine halbe Minute verging. Angst und Ungewissheit wurden unerträglich. Dann verdunkelte ein schwarzer Schatten die Luke, als der Teufelsstorch im Sturzflug darüber hinwegschoss.
     

Sekunden später glitt Nils durch das Loch. Sein Sprung wurde von den anderen abgebremst.
    »Er … er kam plötzlich … näher«, stammelte er und schnappte nach Luft. »Musste ausweichen … deshalb erst jetzt …«
    »Schon gut«, beruhigte Kyra ihn sanft und tätschelte seine Schulter. »Kommt jetzt, wir müssen die Treppen runter!«
    Als wollte er ihre Worte unterstreichen, fuhr im gleichen Moment der Kopf des Dämons durch die Luke. Die Schnabelkiefer klappten auseinander, schnappten nur einen Fingerbreit über den Köpfen der Freunde wieder zusammen. Gelähmt wie in einem Albtraum sah Kyra zu, wie einige ihrer Haarspitzen vor ihrem Gesicht zu Boden rieselten; der Schnabel hatte sie abrasiert wie zwei riesenhafte Scherenblätter.
    Die Kinder tauchten schreiend unter dem tobenden Schnabel hinweg und stolperten die Treppe hinunter. Kyra sah noch, dass der Storch versuchte, sich durch die Luke zu zwängen, dann achtete sie nur noch auf ihre Füße auf den Stufen. Wenn sie jetzt stolperte, sich vielleicht ein Bein brach … Nein, besser gar nicht erst an so was denken!
    Sie kamen im zweiten Stock an, als über ihnen ein Poltern ertönte. Der Dämon war jetzt im Treppenhaus. Sie konnten die schabenden Schritte seiner Krallen hören.
    Er folgte ihnen.
    Noch einmal blickte Kyra zurück und sah, wie die Kreatur mit einem gewaltigen Satz den oberen Teil der Treppe hinabsprang, auf der Zwischenetage nicht genug Halt fand und mit voller Wucht gegen die Wand krachte. Ein schriller Aufschrei drang aus dem aufgerissenen Schnabel. Kyra konnte die Wut der Bestie in ihren eigenen Gedanken spüren – das Wesen strahlte seinen Zorn aus wie ein Feuer seine Hitze.
    »Hier entlang!«, rief Nils und riss den Flügel einer Doppeltür auf. Sie führte auf den Hauptkorridor des zweiten Stockwerks.
    Die Kinder sprangen hindurch. Chris warf die Tür gerade hinter sich ins Schloss, als der Storch von außen dagegen prallte. Ein gezackter Riss erschien wie ein Blitz im Holz der Tür.
    »Weiter!«, brüllte Kyra. » Weiter! «
    Erneut warf sich der Dämon gegen die Tür. Die Benutzung einer Klinke schien ihm fremd zu sein. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis er den Mechanismus durchschauen oder aber die Tür kurzerhand in Stücke hacken würde.
    Die Freunde rannten den Korridor entlang, erreichten eine Verbindungstür und schleuderten auch diese hinter sich ins Schloss.
    »Wohin … laufen … wir?«, brachte Chris mühsam hervor. Ihnen allen ging allmählich die Luft aus.
    Kyra hatte immer geglaubt, wenn man um sein Leben läuft, wecke das ungeahnte Kräfte in einem. Aber das stimmte nicht; sie alle ermüdeten doppelt so schnell wie sonst. Der Gedanke daran, was ihnen bevorstand, wenn der Dämon sie einholen würde, raubte ihnen die letzte Kraft.
    »Wir müssen uns verstecken«, rief Lisa.
    In der Ferne barst die Tür des Treppenhauses. Nur Sekunden später erbebte auch die Verbindungstür unter den blindwütigen Attacken des Storchs. Auf seinen langen Beinen war er viel schneller als die Kinder.
    »In diese Richtung«, wies Nils sie an, als sie eine Kreuzung erreichten.
    Noch eine Verbindungstür. Ein weiterer Aufschub.
    Schließlich gelangten sie in ein anderes Treppenhaus. Es war viel enger als das erste; früher hatte es wohl als Dienstbotenaufgang gedient.
    Stolpernd eilten sie hinunter in den ersten Stock und von dort aus ins Erdgeschoss.
    »Wir könnten uns in einem der Kühlhäuser verstecken«, schlug Nils mit gehetzter Stimme vor. »Das Hotel hat drei, aber nur eines ist in Betrieb. Die anderen beiden stehen leer. Auf die Stahltüren kann das Vieh einhacken, bis sein Schnabel aussieht wie ’ne Ziehharmonika.«
    Alle fanden, das sei ein guter Vorschlag – zumal es der einzige war. Niemand hatte eine bessere Idee, auch wenn Kyra die Vorstellung, in einem Kühlhaus eingesperrt zu sein, überhaupt nicht gefiel. Wie sollten sie feststellen, ob draußen die Luft wieder rein war? Und hatte ein Dämon nicht alle Zeit der Welt? Er konnte Jahre vor der Tür stehen bleiben, bis ihre verhungerten Leiber längst zu Staub zerfallen waren.
    Egal. Sie hatten keine Zeit, alle Möglichkeiten durchzuspielen. Im Augenblick ging es nur darum, ihre Haut zu retten.
    Über ihnen, weiter
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