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Titel: Sie
Autoren: Henry Rider Haggard
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Scharniere eingerostet waren. Ein zweiter, ebenfalls dick mit Staub bedeckter Kasten stand darin. Wir nahmen ihn ohne Schwierigkeiten heraus und säuberten ihn mit einer Kleiderbürste.
    Er schien aus Ebenholz oder einem anderen ähnlich festen schwarzen Holz zu bestehen und war auf allen Seiten von schmalen Eisenbändern umschlossen. Da das schwere Holz an manchen Stellen schon ganz morsch und bröcklig war, mußte er ungeheuer alt sein.
    »Nun diesen«, sagte ich und führte den zweiten Schlüssel ein.
    Job und Leo beugten sich in atemloser Spannung vor. Der Schlüssel drehte sich, ich hob den Deckel und stieß einen Schrei aus – kein Wunder, denn in dem Ebenholzkasten stand ein wunderbares Silberkästchen, etwa zwölf Zoll breit und acht Zoll hoch. Es schien eine ägyptische Arbeit zu sein, denn die vier Füße stellten Sphinxe dar, und auch der gewölbte Deckel trug eine Sphinx. Das Kästchen war natürlich infolge seines hohen Alters voller Flecken und Beulen, doch ansonsten recht gut erhalten.
    Ich hob es heraus, stellte es auf den Tisch, steckte unter tiefem Schweigen den merkwürdigen Silberschlüssel hinein und drehte ihn vorsichtig hin und her, bis das Schloß endlich nachgab und das Kästchen offen vor uns stand. Es war bis zum Rand mit Schnitzeln aus irgendeinem braunen Material gefüllt, das eher Pflanzenfasern als Papier glich. Als ich eine etwa drei Zoll dicke Schicht entfernte, stieß ich auf einen Brief in einem gewöhnlichen modernen Umschlag, auf dem in der Schrift meines Freundes Vincey stand:
     
    »An meinen Sohn Leo, falls er dieses Kästchen öffnet.«
     
    Ich gab den Brief Leo, der einen Blick auf den Umschlag warf, ihn auf den Tisch legte und mir bedeutete fortzufahren.
    Als nächstes kam ein sorgfältig zusammengerolltes Pergament zum Vorschein. Ich rollte es auf und sah, daß es ebenfalls von Vincey beschrieben war und die Überschrift trug: ›Übersetzung der griechischen Unzialschrift auf der Scherbe.‹ Nachdem ich es neben den Brief gelegt hatte, nahm ich eine zweite, stark vergilbte und zerknitterte Pergamentrolle heraus. Als ich sie aufrollte, stellte ich fest, daß es gleichfalls eine Übersetzung der griechischen Unzialschrift war, jedoch in Mönchslatein; Stil und Form der Lettern deuteten darauf hin, daß sie aus dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts stammten. Unter dieser Rolle lag auf einer zweiten Schicht des faserigen Materials ein harter, schwerer, in gelbe Leinwand gehüllter Gegenstand. Langsam und behutsam entfernten wir das Leinen und fanden darunter eine sehr große, ohne Zweifel überaus alte Scherbe von schmutziggelber Farbe. Sie schien von einer mittelgroßen Amphora zu stammen und war zehneinhalb Zoll lang, sieben Zoll breit, etwa einen viertel Zoll dick und auf der Außenseite dicht mit einer stellenweise verblichenen, doch größtenteils gut lesbaren griechischen Unzialschrift bedeckt, die mit größter Sorgfalt ausgeführt war, offenbar mittels einer Rohrfeder, deren sich die Alten häufig zu bedienen pflegten. Irgendwann vor langer Zeit war dieses wunderbare Fragment einmal in zwei Stücke zerbrochen und mit Zement und acht langen Nieten wieder zusammengefügt worden. Auch auf der Innenseite befanden sich zahlreiche Inschriften, die jedoch von der verschiedensten Art waren, also anscheinend von verschiedenen Händen und aus verschiedenen Zeiten stammten.
    »Ist noch mehr drin?« flüsterte Leo aufgeregt.
    Ich tastete herum und holte etwas Hartes hervor, das in einen kleinen Leinenbeutel eingenäht war. Darin befanden sich ein hübsches Miniaturbild aus Elfenbein und ein kleiner schokoladenbrauner Skarabäus, der diese Symbole trug:
     

     
    Wie wir später feststellten, bedeuteten sie ›Suten se Ra‹, daß heißt: ›Königlicher Sohn Ras oder der Sonne.‹ Das Miniaturbild stellte Leos Mutter dar – eine hübsche dunkeläugige Griechin. Auf der Rückseite stand in Vinceys Handschrift: »Mein geliebtes Weib.«
    »Das ist alles«, sagte ich.
    »Gut«, erwiderte Leo und legte das Bild, das er zärtlich betrachtet hatte, hin. »Nun laß uns den Brief lesen.« Ohne Zögern erbrach er das Siegel und las uns folgendes vor:
     
    »Mein Sohn Leo!
    Wenn Du diesen Brief öffnest, hast Du das Mannesalter erreicht, und ich bin schon so lange tot, daß fast alle, die mich kannten, mich vergessen haben werden. Bedenke jedoch, wenn Du dies liest, daß ich gewesen bin und – wer weiß? – vielleicht noch bin, daß ich Dir durch diesen Brief über den Abgrund des
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