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Sich vom Schmerz befreien

Titel: Sich vom Schmerz befreien
Autoren: Klaus Weitzer
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Tatsache, dass völlig unbewusste Prozesse im Nervensystem die Basis aller bewusst und willentlich gesteuerten Vorgänge sind. Höchste artistische, künstlerische und intellektuelle Leistungen eines Menschen sind nur möglich, weil es die grundlegenden Körperprozesse, Reflexe und Instinkthandlungen gibt, für die das Reptiliengehirn zuständig ist. Für unser Verständnis von Schmerz und Schmerztherapie ist zentral, dass es sich dabei um Muskelaktivität handelt und daraus folgt, dass auch unwillkürlich gesteuerte Vorgänge wie Schmerz der bewussten Beeinflussung zugänglich sind.
Die Gleichzeitigkeit von Körper und Psyche
    Der zweite, unmittelbar damit zusammenhängende Punkt ist: die Gleichzeitigkeit von Körper und Psyche. Die Hirnforschung weiß längst, dass sowohl körperliche als auch psychische Vorgänge über dieselben bio-elektrischen Prozesse gesteuert werden - also subjektives Erleben, Denken, Fühlen und Wahrnehmen genauso wie Bewegungshandlungen und Organfunktionen. Es handelt sich demnach nicht um zwei separate Erscheinungen, die irgendwie miteinander verbunden sind, sondern um zwei verschiedene Ausdrucksweisen desselben Vorgangs - die »zwei Seiten einer Medaille«. Wenn eine fehlt, ist die Medaille keine Medaille mehr. Die Veränderung des einen Aspekts ist nicht möglich, ohne auch den anderen zu verändern.
    Wie weit diese Gleichzeitigkeit geht, ist daran zu erkennen, dass sich mit Gedanken und Gefühlen nachweisbar Funktionen
ändern, die an die Abläufe im Nervensystem gekoppelt sind, etwa im Immunsystem und sogar die Aktivität von Genen. Ja, Sie haben richtig gelesen: Gene sind kein unveränderbares Schicksal, das unser Leben bestimmt! Ob und wie ein Gen zur Wirkung kommt, hängt von unserem Verhalten und unserer Lebensweise ab. Jeder Gedanke bedeutet Muskelaktivität. Beispielsweise ist die Angst, die »im Nacken sitzt«, psychischer Ausdruck desselben Vorgangs, der auch zu Muskelspannung und darüber zu Kopfschmerzen führt. Hier wird die Trennung von Körper und Psyche als ungeeignet entlarvt. Wenn man sich auf objektive Vorgänge beschränkt und sich um subjektive höchstens getrennt davon kümmert, behandelt man niemals einen ganzen Menschen und sein gesundheitliches Problem. In dem Moment, wo subjektive Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen ins Spiel kommen - also letztendlich in jeder Lebenssituation -, verändern sich objektive und damit körperliche Gegebenheiten.
    Nebenbei bemerkt: Die Gleichzeitigkeit bezieht sich natürlich auch auf Prozesse innerhalb der Bereiche Körper und Psyche. So betreffen Veränderungen in einem Körpersystem wie der Atmung stets auch alle anderen - in diesem Fall beispielsweise unmittelbar die Herz-Kreislauf-Aktivitäten. Und in der Psyche funktioniert die Trennung von »Verstand« und »Gefühl« ebenfalls nicht: Ein Denkvorgang in der Großhirnrinde ist ohne die emotionalen Vorgänge des limbischen Systems nicht möglich, zumindest ist er sinnlos.
Plastizität - der Organismus ist ein Prozess
    Das dritte Kennzeichen unseres Nervensystems, das auch für das Thema Schmerz von Bedeutung ist, wird in der Fachsprache Plastizität genannt. Moderne Apparate zeigen in beeindruckender Weise, dass das Gehirn kein unveränderlicher Apparat ist, der alle Lebensvorgänge nach bestimmten Programmen
steuert. Während es aktiv ist, ändert es sich ständig. Sowohl seine Art zu funktionieren als auch seine strukturelle Beschaffenheit passen sich ständig an die jeweiligen Anforderungen und Bedingungen an. Das heißt: Die Funktion bestimmt die Struktur, diese wiederum beeinflusst, mit welcher Wahrscheinlichkeit welche Funktion ausgeführt wird bzw. zwischen welchen man wählen kann. Die gewählte Funktion wiederum wirkt sich auf die strukturelle Beschaffenheit aus usw . Dieses zirkuläre Phänomen mag für uns ungewohnt sein, ist aber wichtig für unser Verständnis von Krankheit und Therapie. Ich möchte es mit einer kleinen Szenerie veranschaulichen, sie heißt »Der Trampelpfad« :
    Stellen Sie sich einen verschneiten Platz im Zentrum einer Stadt vor. Es ist frühmorgens und die zahlreichen Geschäfte öffnen ihre Türen. Sie betreten den Balkon Ihrer Hochhaus-Wohnung und schauen eine Weile dem Geschehen auf dem Platz zu. Einige Frühaufsteher stapfen mühsam durch den tiefen Schnee, bahnen
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