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Shutter Island

Titel: Shutter Island
Autoren: Dennis Lehane
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sinken, wischte sich das Gesicht mit dem Taschentuch ab und dachte, dass sich wohl keiner bei seinem neuen Kollegen so einführen wollte.
    Er konnte sich bildlich vorstellen, wie Chuck zu Hause seiner Frau – falls er verheiratet war, Teddy wusste nicht einmal das – von der ersten Begegnung mit dem legendären Teddy Daniels erzählte: »Der war so begeistert von mir, Schätzchen, der hat gleich losgekotzt.«
    Seit jener Bootsfahrt als Junge hatte Teddy keinen Spaß daran gehabt, auf dem Wasser zu sein. Eine derartige Abwesenheit von Land, von Landsicht, von Dingen, die man mit ausgestrecktem Arm berühren konnte, ohne dass die Hände darin verschwanden, hatte ihm keine Freude bereitet. Er redete sich ein, Schiff fahren sei in Ordnung – schließlich gelangte man nur so ans gegenüberliegende Ufer eines Gewässers –, aber das stimmte nicht. Selbst im Krieg hatte er sich nicht so sehr vor der Erstürmung des Ufers, sondern vor den wenigen Metern vom Boot zum Strand gefürchtet, wenn die Beine durch die Tiefe stapften und unheimliche Wesen über seine Stiefel glitten.
    Dennoch war er lieber draußen an Deck und hielt das Gesicht in die frische Brise, als in der warmen Luft hier unten zu würgen.
    Als es vorbei war, als sein Magen nicht mehr brodelte, sein Kopf sich nicht mehr drehte, wusch er sich Hände und Gesicht und prüfte sein Aussehen in dem kleinen Spiegel über dem Waschbecken. Das Glas war vom Meersalz stark angelaufen, aber in einer kleinen Wolke in der Mitte konnte Teddy sein Ebenbild erkennen: ein noch relativ junger Mann mit dem einheitlichen Bürstenschnitt vom Polizeifriseur. Aber die Spuren des Krieges und der Jahre danach standen ihm ins Gesicht geschrieben, seine Schwäche für die Faszination von Jagd und Gewalt sprach aus Augen, die Dolores einmal »traurige Hundeaugen« genannt hatte.
    Ich bin zu jung, umso hart auszusehen, dachte Teddy.
    Er rückte den Gürtel zurecht, damit Revolver und Holster auf der Hüfte saßen. Dann nahm er den Hut oben von der Toilette und setzte ihn so auf, dass sich die Krempe rechts ein wenig tiefer neigte. Er zog den Krawattenknoten fest. Es war ein Schlips mit auffälligem Blumenmuster, längst unmodern geworden, aber Teddy trug ihn, weil er ein Geburtstagsgeschenk von ihr gewesen war, weil sie ihm damit im Wohnzimmer die Augen verbunden hatte. Hatte die Lippen auf seinen Adamsapfel gedrückt. Eine warme Hand auf seine Wange gelegt. Apfelsinengeschmack im Mund. War auf seinen Schoß gerutscht, hatte die Krawatte gelöst, und Teddy hatte die Augen geschlossen gehalten. Um sie zu riechen. Um sie sich vorzustellen. Um sie im Kopf erschaffen und bewahren zu können.
    Das gelang ihm noch immer – die Augen schließen und sie sehen. Aber in letzter Zeit lagerten sich weiße Flecken über ihr Bild – über Ohrläppchen, Wimpern, Haare. Es war noch nicht so weit, dass sie völlig im Dunkeln verschwand, aber Teddy hatte Angst, dass sie ihm von der Zeit genommen würde, dass die Zeit an dem Bild in seinem Kopf nagte und es zerstörte.
    »Du fehlst mir«, sagte er und ging hinaus aufs Vorderdeck.
    Draußen war es warm und klar, aber überall im Wasser glitzerten dunkle Rosttöne, und darüber lag ein Schleier aus Grau, eine Ahnung, dass unten in der Tiefe etwas dräute, sich düster zusammenballte.
    Chuck trank einen Schluck aus seiner Feldflasche und warf Teddy einen fragenden Blick zu. Teddy schüttelte den Kopf. Chuck schob die Flasche zurück in die Jackentasche, zog die Mantelschöße vorne zusammen und starrte aufs Wasser.
    »Alles in Ordnung?«, fragte er. »Du bist blass.«
    Teddy antwortete mit einem Achselzucken. »Geht schon.«
    »Ja?«
    Teddy nickte. »Muss mich bloß ans Schaukeln gewöhnen.«
    Eine Weile schwiegen sie, umwogt vom Meer, das mitunter dunkel und seidig war wie Samt.
    »Wusstest du, dass da früher ein Kriegsgefangenenlager war?«, fragte Teddy.
    »Auf der Insel?«
    Teddy nickte. »Während des Bürgerkriegs. Damals wurden eine Festung und Kasernen gebaut.«
    »Was ist heute mit der Festung?«
    Teddy zuckte mit den Schultern. »Weiß ich nicht. Auf den Inseln hier gibt’s einige Festungen. Die meisten hat man im Krieg zu Übungszwecken als Zielscheibe für die Artillerie benutzt. Viele sind nicht mehr erhalten.«
    »Und die Anstalt?«
    »Soweit ich weiß, ist sie in den alten Truppenquartieren untergebracht.«
    »Zurück in die Grundausbildung, was?«, sagte Chuck.
    »Das wünsch uns lieber nicht.« Teddy drehte sich zur Reling um. »Erzähl
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