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Shutter Island

Titel: Shutter Island
Autoren: Dennis Lehane
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mal was von dir, Chuck.«
    Chuck grinste. Er war untersetzt und kleiner als Teddy, um die einsfünfundsiebzig, hatte dichtes schwarzes Kraushaar und olivbraune Haut. Seine schmalen, zarten Hände passten nicht zu ihm, sie sahen aus wie geliehen. Auf der linken Wange hatte er eine kleine sichelförmige Narbe, auf die er nun mit dem Zeigefinger tippte.
    »Ich fang immer mit der Narbe an«, sagte er. »Früher oder später fragt jeder danach.«
    »Gut.«
    »Die ist nicht aus dem Krieg«, sagte Chuck. »Meine Freundin meint, ich soll sagen, sie wäre aus dem Krieg, dann wäre der Fall erledigt, aber …« Er zuckte mit den Schultern. »Die Narbe ist vom Krieg spielen . Als ich klein war. Ich war mit einem Freund im Wald, wir haben uns mit der Schleuder beschossen. Mein Freund schießt an mir vorbei, zuerst alles bestens.« Chuck schüttelte den Kopf. »Dann prallt der Stein von einem Baum ab, und ein Stück Rinde fliegt mir ins Gesicht. Daher die Narbe.«
    »Vom Kriegspielen.«
    »Ja, vom Spielen.«
    »Von Oregon hierher versetzt worden?«
    »Von Seattle. Bin letzte Woche angekommen.«
    Teddy wartete, aber Chuck erklärte sich nicht weiter.
    »Wie lange bist du schon dabei?«
    »Vier Jahre.«
    »Dann weißt du ja, dass es ein kleiner Laden ist.«
    »Klar. Du willst wissen, warum ich versetzt wurde.« Chuck nickte, als träfe er eine Entscheidung. »Ich könnte sagen, ich hatte den Regen satt.«
    Teddy streckte die Hände über die Reling. »Wenn du meinst …«
    »Aber es ist ein kleiner Laden, da hast du schon Recht. Jeder kennt jeden. Früher oder später gibt’s immer – wie sagen die noch mal? – Palaver.«
    »So kann man das nennen.«
    »Du bist das gewesen, der Breck geschnappt hat, stimmt’s?«
    Teddy nickte.
    »Woher wusstest du, wo er hinwollte? Fünfzig Mann waren dem auf den Fersen, und alle sind nach Cleveland. Du als einziger nach Maine.«
    »Er hat da mal als Kind mit seiner Familie Sommerferien gemacht. Was er mit seinen Opfern angestellt hat, das macht man normalerweise mit Pferden. Hab mit einer Tante von ihm gesprochen. Die sagte, er wäre nur einmal im Leben glücklich gewesen, und zwar auf einem Pferdehof in der Nähe dieses Ferienhauses in Maine. Also bin ich hingefahren.«
    »Fünfmal auf ihn geschossen«, sagte Chuck und blickte in den Schaum vor dem Bug.
    »Hätte noch fünfmal mehr geschossen«, entgegnete Teddy. »Fünf hab ich halt gebraucht.«
    Chuck nickte und spuckte ins Wasser. »Meine Freundin ist Japanerin. Klar, hier geboren, aber du weißt schon … Kommt aus einem Lager. An der Westküste gibt es immer noch ziemlich viel Verbitterung – in Portland, Seattle, Tacoma. Hab ständig Probleme, weil ich mit ihr zusammen bin.«
    »Deshalb bist du versetzt worden?«
    Chuck nickte, spuckte wieder und beobachtete, wie die Spucke in der schäumenden Gischt verschwand.
    »Hab gehört, da braut sich richtig was zusammen«, sagte er.
    Teddy hob die Ellenbogen von der Reling und richtete sich auf. Sein Gesicht war feucht, die Lippen salzig. Er war erstaunt, dass das Meer ihn gefunden hatte, denn er hatte gar nicht bemerkt, dass ihm Gischt ins Gesicht gesprüht war.
    Er klopfte seine Manteltaschen ab, suchte seine Chesterfields. »Wer sagt das? Was braut sich zusammen?«
    »Die Zeitungen«, erwiderte Chuck. »Ein Sturm. Wird richtig schlimm, schreiben sie. Gewaltig.« Er machte eine ausholende Handbewegung und zeigte in den fahlen Himmel, so fahl wie die schäumende Gischt vor dem Bug. Doch im Süden dehnte sich eine schmale Linie violetter Wattebäuschchen wie Tintenkleckse aus.
    Teddy schnüffelte. »Du kannst dich bestimmt noch an den Krieg erinnern, Chuck, stimmt’s?«
    Chucks Grinsen ließ Teddy ahnen, dass sie sich bereits aufeinander einspielten, dass sie herausfanden, wie sie sich gegenseitig verarschen konnten.
    »Ein bisschen«, sagte Chuck. »Ich erinnere mich an Schutt. An Berge von Schutt. Man redet immer schlecht drüber, aber ich finde, Schutt hat eine Daseinsberechtigung. Ich finde, Schutt hat seine eigene Schönheit. Schönheit liegt im Auge des Betrachters.«
    »Du hörst dich an wie jemand in einem Schundroman. Hat dir das schon mal einer gesagt?«
    »Ist schon mal vorgekommen.« Wieder grinste Chuck verhalten, beugte sich über den Bug und drückte den Rücken durch.
    Teddy klopfte Hosentaschen und Innentaschen der Uniformjacke ab. »Du weißt bestimmt noch, dass die Einsätze oft von der Wettervorhersage abhängig waren.«
    Mit dem Handrücken rieb sich Chuck über das
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