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Shit

Shit

Titel: Shit
Autoren: Joerg Schmitt-Killian
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polizeilichen Aktion rechnen. Im Laufe der Zeit hatte sich bei ihm eine Art Verfolgungswahn entwickelt. Überall vermutete er verdeckte Ermittler. Manchmal beunruhigte ihn sein paranoides Verhalten selbst.
    Conny bunkerte auch heute wieder den größten Teil unter den Tannen. Die Portionen, die er heute noch ausliefern würde, steckte er in seine Jackentasche. Seine Mutter würde wie jeden Tag erst gegen Nachmittag nach Hause kommen. Sie unterrichtete an einer kleinen Grundschule in einem Koblenzer Vorort. Sein Vater arbeitete im Jugend- und Sozialamt und musste fast täglich Überstunden leisten. Behauptete er jedenfalls. Dabei war er fast jeden Abend Stammgast an der Theke bei Vera in der Alstadtkneipe
Dormonds
. Conny sah seinen Vater eigentlich nur an den Wochenenden und konnte daher ungestört in dem Gartenhäuschen Haschisch portionieren.
    Der Gartenpavillon war zu seiner Kinderzeit ein Vogelhaus gewesen. Als Mutter vor einigen Wochen das Brotmesser mit den dunklen Anhaftungen in dem Gartenhäuschen fand, warsie zunächst verwundert. Sie hatte Conny gefragt, wozu er das Messer benutzt habe und warum er sich so oft in dem verfallenen Pavillon aufhielte. Er hatte ihr glaubwürdig erklärt, dass er sein Pfadfindermesser verloren und deshalb mit dem Brotmesser einen Wanderstock geschnitzt habe. Und dann hatte er noch einen draufgesetzt: An diesem Ort würde er an seine Kindheit erinnert. „Ich höre dann wieder die Wellensittiche, Dompfaffen, Rotkehlchen singen, kann mich entspannen und auf meine Schulaufgaben konzentrieren“, hatte er seiner verblüfften Mutter vorgeschwärmt.
    Und sie hatte es geglaubt.
    Wie naiv.
    Noch gutgläubiger als Mary.
    Als seine Mutter einen kleinen Brocken Haschisch in Connys Rucksack entdeckt hatte, konnte er sie davon überzeugen, dies sei ein vertrockneter Maggiwürfel vom letzten Pfadfinderlager im Brexbachtal. Auch das hatte seine Mutter geglaubt. Oder glauben wollen?
    Conny hatte sich zwischenzeitlich auf dem Flohmarkt eine Feinwaage, ein spezielles Messer zum Schneiden der Konsumportionen und ein großes Holzbrett gekauft. Das Geschäft florierte.
    Und er hatte schon wieder eine Idee, wie er seinen Geschäftszweig ausbauen und den Gewinn steigern könnte.

4.
    Conny nahm während der Pausen lediglich die Bestellungen entgegen, dealte aber nie auf dem Schulhof. „Ihr könnt auch bei mir zu Hause anrufen, wenn ihr etwas außerplanmäßig braucht. Oder schickt mir ’ne SMS oder ’ne Mail. Aber niemals Klartext!“, sagte er und nannte Code-Wörter, damit man auch im Beisein von Eltern unauffällig bestellen konnte. Denn man musste immer mit einer Telefonüberwachung durch die Polizei rechnen.
    Viele Dealer wechselten deshalb ständig ihre Handynummern.
    Als einer aus Connys Klasse telefonisch ein Piece bestellte, glaubte dessen Mutter, es handle sich um die Bedeutung des Wortes Peace: Friede als Begrüßungsfloskel einer gewaltverabscheuenden Generation. Zum Schreien.
    Conny traf sich mit seinen Kunden immer am Rand des Centerplatzes. Der Platz war inzwischen eine Riesenbaugrube, weil sich die Politiker des Stadtrats nicht über den Bebauungsplan einigen konnten. Die Grünen wollten einen Park mitten in der Stadt, die Schwarzen und Roten ein Kultur- und Einkaufszentrum und die Gelben antworteten auf diese Frage mit einem entschiedenen „Vielleicht“.
    Ein Park mit Bäumen, hohen Sträuchern und versteckten Nischen mitten in der Stadt wäre für die Kiffer geil gewesen, aber sie fragte ja niemand.
    Es war immer ein besonderes Ereignis, wenn sich die Kiffer auf der Schmidtenhöhe, einem ehemaligen Übungsgelände der Bundeswehr, trafen.
    Die von den Panzern geschaffenen wüstenähnlichen Flächen waren mit Brombeerbüschen und Hecken überwuchertund hatten sich inzwischen zu bunten Blumenwiesen und einem attraktiven Lebensraum für viele Lebewesen entwickelt. Das Gelände war Teil des europäischen Schutzgebietssystems und auch ein geeigneter Rückzugsraum für Koblenzer Kiffer. Das vom Bund für Naturschutz verwaltete Terrain war mit einem zehn Kilometer langen Elektrozaun umgeben, hinter dem Taurusrinder und Konik-Pferde in freier Wildbahn lebten. In der Einsamkeit der unberührten Naturlandschaft konnte man ungestört Haschisch rauchen. In diesem abgezäunten Bereich kifften sie ihre Erdböhlchen, eine Eigenkonstruktion aus einem Lehmiglu und einem dünnen Bambusrohr.
    Es machte echt Laune, wenn sie von diesem Hochplateau aus die untergehende Sonne beobachteten und wie
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