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Shevchenko, A.K.

Shevchenko, A.K.

Titel: Shevchenko, A.K.
Autoren: Ein fatales Erbe
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neutrale
Miene. »Keine Ahnung. Vielleicht, weil ich Anwältin bin - jemand, der seine
Angelegenheiten regeln konnte, nur für den Fall ...«
    »Für den Fall, d-d-dass was?« Sein Stottern wird
auffälliger, jetzt, da er sie unterbricht.
    »Nur für den Fall.« Sie kann sich nicht mehr auf die
Antworten konzentrieren.
    »Befinden sich irgendwelche Dinge, die dem Verstorbenen
gehörten, in Ihrem Besitz?«
    Kate schüttelt den Kopf. Etwas zu heftig vielleicht. »Wann
haben Sie den Verstorbenen zuletzt g-g-gesehen?« Warum vermeidet er den Namen
und sagt immer »der Verstorbene«? Benutzen die eine bestimmte Technik, um
einen von der Situation abzulenken, damit man die Fragen ruhig beantwortet,
bevor einen der Kummer übermannt?
    Der Polizist drängt sie förmlich zum Ausgang,
unterschreibt an der Pforte und lässt Kate hinaus. Dass sie nun aber eine
Gefangene ist, wird ihr klar, als er sagt: »W-wir werden Sie bald kontaktieren.
B-b-bitte verlassen Sie keinesfalls das Land.« Trotz des Stotterns ist dies das
nachdrücklichste Bitte, das sie je gehört hat.
     
    Die Welt draußen umfängt sie mit Farben und Formen, doch
sie nimmt nicht mehr daran teil.
    Sie sieht sich den 3-D-Blockbuster Alltagsleben an.
    Ein Krankenwagen rast vorbei und biegt mit quietschenden
Reifen links in die Einfahrt der Notaufnahme.
    Kate fällt ein, dass dies ja immer noch ein Krankenhaus
ist, ein Ort, der eigentlich dazu dienen soll, Leben zu retten. Ein rothaariger
Junge unterhält sich an der Tür des Forschungslabors mit einem japanischen
Mädchen, das eine glänzende Nylonjacke trägt. Seine Hände sprechen für ihn. Er
ballt sie zu Fäusten, hebt sie vor die Brust, öffnet dann plötzlich die Fäuste,
wie ein Magier, der für die Vorstellung trainiert. Der Zauber scheint zu wirken,
denn das Mädchen lächelt und nickt, lächelt und nickt, wie eine übergroße
Porzellanpuppe.
    Daneben versucht ein Mädchen, noch zu jung für eine Ärztin,
ihren hellen Kleinwagen unter dem Schild Nur für
Angehörige der Universität einzuparken. Der Wagen bockt
lärmend. Seine weißen Streifen sind von Rost bedeckt, aber die grüne Motorhaube
ist noch unversehrt.
    Kate schlendert an dem Magier, der Puppe und dem
Kleinwagen vorbei und krümmt sich plötzlich vor Schmerz. Der Schlag in die
Magengrube ist so heftig, dass sie sich zusammenkauern muss, gleich hier,
hinter einem Polizeiwagen. Etwas schießt ihr heiß die Kehle hoch, flutet
brennend durch ihren Körper. Mein Gott, sie ist nicht bereit dafür. Für seinen
Tod, für diese Qual. Und für dieses neue unbekannte Gefühl von Gefahr.
»F-f-falls sich irgendwelche Gegenstände des Verstorbenen in Ihrem Besitz
befinden sollten ...«, hat der Polizist zu ihr gesagt. Ja, er hat ihr drei
Gegenstände hinterlassen. Nein, er hat ihr diese drei Gegenstände überlassen,
und sie ist jetzt ganz auf sich allein gestellt. Etwas aus seinem Traum. Etwas,
das sein Land retten soll. Jetzt steht sie da, ohne ihn, aber mit seinem
Geheimnis. »Alles in Ordnung mit Ihnen?« Der Detective Inspector steht vor ihr.
Er wirkt besorgt. Selbst das Stottern scheint verschwunden. »Ich bring Sie zum
Bahnhof, mit dem Auto sind das nur fünf Minuten.«
    »Ich geh zu Fuß«, stößt sie hervor, aber er hält ihr schon
die Wagentür auf.
    Als sie im Auto sitzt, hallen ihr seine Fragen immer noch
in den Ohren, brechen durch das weiße Rauschen des Schmerzes. »Wo waren Sie
gestern zwischen sieben und elf Uhr abends?« Sie wendet sich ihm zu. »Sie
sagten doch, es sei ein Unfall gewesen. Sie verdächtigen doch nicht etwa
mich?« Der Detective Inspector zuckt zusammen und schaut weg, als sei dort vor
dem Fenster etwas, das Kate nicht sieht. »Da der toxikologische Bericht keinen
eindeutigen Befund ergab ... Es könnte sich natürlich um Suizid handeln.«
    Er hält inne. Offenbar ärgert er sich über sich selbst; er
hat zu viel gesagt. Schweigend fahren sie weiter. »G-g-geben Sie uns
B-bescheid, wenn Ihnen etwas einfällt«, sagt er statt »Auf Wiedersehen«.
    Sie muss sich bewegen, um zu überleben. Auf dem Bahnsteig
bewältigt sie einen Schritt nach dem anderen, setzt die Füße vorsichtig auf
den schmutzigen Asphalt. Sie wandert nach Nirgendwo. Ihre Schritte werden
schwerer, ihr Herz schlägt schneller. Schneller, schwerer. Schwerer, schneller
in einem ganz bestimmten Rhythmus: »Ein-Zug-der-Qual-trägt-mich-davon ...«
Wann geht der nächste Zug nach King's Cross? Sie muss einsteigen, um von hier
wegzukommen, aus dem mit Neonlicht
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