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Sex and Crime auf Königsthronen

Titel: Sex and Crime auf Königsthronen
Autoren: Sabine Werz
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überziehen oder Daumenschrauben anlegen darf. Das geschieht erst zweihundert Jahre später in Frankreich, als reihenweise Blaublüter, darunter 1793 die berühmt-berüchtigte Königin Marie Antoinette und ihr Gemahl Ludwig XVI., den Kopf unters Fallbeil legen müssen.
    Der letzte Bourbone wird übrigens le roi martyr , der Märtyrerkönig, genannt. Was sein intimes Sündenregister betrifft, so gibt es über ihn weit weniger Schlimmes zu berichten als über seine beiden gleichnamigen Vorfahren. Ludwig der XVI. vergnügt sich nicht mit ständig wechselnden Mätressen, er teilt die Verschwendungslust seiner Gemahlin nicht, und statt auf der Hofbühne Versailles Pomp und viel Wind zu machen, zieht er sich gern zu Drechslerarbeiten in seine palastinterne Hobbywerkstatt zurück. Ein zumindest bürgerlich anmutendes Leben ist dank der Aufklärung längst en vogue und angebracht.
    Berühmte französische Denker wie Rousseau, Diderot und der spitzzüngige Voltaire betrachten die Monarchie schon seit Beginn des 18. Jahrhunderts im reinen Licht der Vernunft, und die Krone verliert an Glanz. Nebenher sind einige Aufklärer ausgemachte Klatschmäuler. Vor allem die begnadete Lästerzunge Voltaire (»Nichts ist gesellschaftlich erfolgreicher als Dummheit gepaart mit guten Manieren«).
    Unter anderem geht auf ihn die erste Erwähnung darüber zurück, dass sein Brieffreund und Gönner Friedrich II. von Preußen seine Langen Kerls nicht nur militärisch schätzte. Das schwule Geheimnis vertraut er nach einem Besuch beim Alten Fritz in Sanssouci schriftlich seinem Geheimtagebuch und mündlich auch anderen an. Was unfein ist. Aber auch Friedrich bewies im Umgang mit dem Dichter und Denker nicht die besten Manieren, und er saß am längeren Hebel. Dem der Macht. Einmal lässt der große Friedrich seinen philosophischen Freund unter fadenscheinigen Gründen verhaften, dann wieder verbrennt er öffentlich ein Druckwerk Voltaires.
    In Frankreich wandert der Allroundautor wegen Verbreitung von Inzestgerüchten über Herzog Philippe II. von Orléans in die Bastille. Der Fürst aus dem Herrscherhaus der Bourbonen regiert gerade in Stellvertretung für den minderjährigen Ludwig XV., als Voltaires Tragödie »Ödipus« 1718 uraufgeführt wird. Voltaire lässt den blutschänderischen Helden in der Maske von Philippe auftreten. Als Anspielung darauf, dass der Herzog ein inzestuöses Verhältnis mit seiner Tochter habe. Woran wiederum etwas dran gewesen sein soll.
    Fest steht: Bürgerliche Salondamen des 17. Jahrhunderts, Dichter und Denker stecken ihre Nase nicht nur in kluge Bücher, sondern auch in die höfische Gerüchteküche, schreiben nicht nur philosophische Abhandlungen, sondern korrespondieren eifrig über neueste Skandale und Gerüchte rund um den Sonnenkönig und um seine Nachfolger Ludwig Nummer XV und XVI.
    Viel Empörendes können sie live miterleben, anderes wissen sie von adligen Freunden und Mäzenen, manches nur vom Hörensagen. Unter Hinweis auf das skandalöse Verhalten von Monarchen zieht man gegen die gottgewollte Allmacht von Königen zu Felde. Gerüchte und Klatschgeschichten haben die Französische Revolution erheblich befördert. Im Dienste der Wahrheit, der Republik und der bürgerlichen Freiheit sitzen Revolutionäre und Aufklärer gelegentlich auch erfundenen Verbrechergeschichten über Monarchen wie Ludwig & Co. auf, die am Hof die Runde machen. Zwecks gegenseitiger Rufschädigung unter Adelscliquen oder weil man sich vom Sonnenkönig bei der Postenverteilung übergangen fühlt.
    Voltaire etwa macht genüsslich die in Adelsbriefen kolportierte Story publik, Ludwig XIV. habe einen heimlichen, weit fähigeren Zwillingsbruder und damit den eigentlichen König Frankreichs weggesperrt. Der Aufklärer hält das für die Wahrheit. Und Ludwig hat tatsächlich einen mysteriösen Adligen mit einer Ledermaske eingesperrt, den keiner zu Gesicht bekommen darf. Wegen dessen Ähnlichkeit mit Ludwig, glaubt Voltaire. Dem Philosophen drohte wegen der gedruckten Verbreitung des Gerüchts mal wieder die Bastille.
    Im 19. Jahrhundert strickt Alexandre Dumas aus der Schauermähr den Thriller »Der Mann mit der eisernen Maske«. Wer sich wirklich darunter verbirgt, ist bis heute unklar. Bei Dumas ist der längst verstorbene Sonnenkönig in jedem Fall ein Erzschurke. Und dem neuen, bürgerlichen Lesepublikum ganz Europas gefällt das.
    Romane, Histörchen und Presseberichte um blaublütige Finsterlinge kommen mehr und mehr in Mode.
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