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Sex and Crime auf Königsthronen

Titel: Sex and Crime auf Königsthronen
Autoren: Sabine Werz
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Schwangerschaften jung, oft im Kindbett.
    Einem selbst auferlegten Martyrium ähnelt etwa das Schicksal der letzten Stuart-Regentin Anne (1645–1714). Als 17-Jährige heiratet sie den trink- und essfreudigen Dänenprinzen Georg. Die Verbindung ist – wie üblich – arrangiert. Über den Ehemann höhnen Zeitgenossen, dass er lebe, bemerke man nur an seinem unüberhörbar schweren Atmen. Prinz Georg ist Asthmatiker.
    Doch ob geborener Faulenzer oder nicht, im Bett beweist der Däne enorme Produktivität. Und das ist ganz in Annes Interesse. Obwohl sie erst 1702 die Regentschaft übernimmt, erfüllt sie mit eisernem Willen ihre vorrangige Pflicht – Kinder gebären. Das Haus Stuart droht zu erlöschen, denn die Ehe ihrer Schwester Maria, die mit William III. auf dem Thron sitzt, bleibt kinderlos.
    Von 1684 bis 1700 durchlebt Anne 18 (!) Schwangerschaften. Neun enden mit einer Fehlgeburt oder mit einer Totgeburt. Von ihren anderen Kindern, die teils behindert zur Welt kommen, überlebt nur ein Sohn das erste Lebensjahr. Dann stirbt auch er an einer verbreiteten, damals unheilbaren Kinderkrankheit: an Windpocken, Masern oder an einem grippalen Infekt. Die permanenten Schwangerschaften haben ruinöse Folgen für Annes Leib und Leben. Schon im Alter von 33 Jahren zeigen sich Symptome von Arthritis, Rheuma und Gicht, ihr Leib ist aufgeschwemmt von Ödemen, sie setzt so viel Fett an, dass sie kaum gehen kann und in einer Sänfte zur Krönung geschleppt werden muss. Moderne Mediziner, die den Symptomkatalog gründlich studiert haben, glauben heute, dass man Queen Anne und ihren Kindern mit einem gängigen Mittel aus unserer Hausapotheke hätte helfen können: mit Aspirin.
    Die Königin litt wahrscheinlich an einer seltenen Autoimmunerkrankung namens Lupus Anticoagulans oder Hughes-Syndrom. Diese Krankheit wurde erst Ende des 20. Jahrhunderts entdeckt. Sie führt zu Durchblutungsstörungen im ganzen Körper und trifft vor allem Frauen. Zu den klinischen Symptomen zählen Thrombosen, Fehlgeburten, Spontanaborte und das Absterben ansonsten gesunder Föten im Mutterleib. Ursache ist die gestörte Blutversorgung des Mutterkuchens. Heute setzen Gynäkologen blutverdünnendes Aspirin erfolgreich gegen das Leiden und gegen die Komplikationen während der Schwangerschaft ein. Queen Anne war diese Therapie nicht vergönnt. Das Haus der Stuarts stirbt 1714 mit dem Tod der Regentin im Alter von 49 Jahren aus.
    Damit England trotzdem protestantisch bleibt, müssen 57 katholische Thronanwärter übergangen werden. Das Parlament findet eine länderübergreifende Lösung; schließlich hat der Adel Europas stets international untereinander geheiratet. Per Gesetz und nach akribischem Studium von Ahnentafeln spricht man dem evangelisch-lutherischen Fürstenhaus von Hannover den Thron zu. Man denkt damals nicht nur in Königskreisen noch in dynastischen Kategorien, nicht in nationalen. Hauptsache, die Monarchie und der Protestantismus sind gerettet. Wieder heißt es: »Der König ist tot, es lebe der König.«
    Die paradox klingende Formel wurde traditionell am Totenbett eines Monarchen gesprochen, und alles verneigte sich vor dem Erben – so er anwesend war. Selbst wenn der noch Windeln trug. Es gilt, der Unsterblichkeit des Amtes zu huldigen. Als Reporter die künftige schwedische Königin Victoria vor deren Märchenhochzeit im Juni 2010 fragten, ob sie sich schon auf ihre Thronbesteigung freue, antwortete die Kronprinzessin geistesgegenwärtig: »Wie könnte ich? An diesem Tag wird in unserer Familie etwas sehr Trauriges passieren.« In der Tat.
    Soweit die Theorie zur Unsterblichkeit der Monarchie. In der Praxis ist Kritik an realen Throninhabern so alt wie das Königtum selbst. Die Kirche und der Restadel legen sich über alle Epochen hinweg mit den Monarchen an. Die adlige Verwandtschaft des Königs wiederum versucht nicht selten, diesem die Krone vom Kopf zu reißen und sie sich selbst aufs Haupt zu setzen. Auch das Volk wird mitunter rebellisch, wenn ein Monarch zu viele Kriege vom Zaun bricht, maßlose Steuern erhebt und Misswirtschaft im großen Stil betreibt.
    Der Thron – obwohl in der Ewigkeit verankert – ist de facto also ein wackliges und oft unbequemes Sitzmöbel. So mancher Monarch, der seine Aufgaben ernst nahm und nicht nur Hof hielt, stöhnte wie Philipp II. von Spanien (1527–1598): »Ein König ist nichts weiter als ein Sklave, der eine Krone trägt.«
    Ein Sklave, dem allerdings niemand eins mit der Peitsche
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