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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja
Autoren: Zülfü Livanelli
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Maximilian Wagner, der das alles ausgelöst hatte, furchtbar neugierig waren und nur aus Zurückhaltung keine Fragen stellten. Um sie dafür zu entschädigen, begann ich von mir aus zu erzählen und klärte sie über alles auf. Als ich sagte, Maximilian sei ein letztes Mal hierhergekommen, um sich von Nadja zu verabschieden, konnte meine Mutter ihre Tränen nicht zurückhalten.
    Als ich fertig war, blieben wir lange schweigend sitzen. Jeder hing seinen Gedanken nach.
    Am folgenden Morgen begann ich mit der Übersetzung von Mimesis , doch konnte ich mich nur zwei Tage damit beschäftigen, da ich am dritten Tag zurück nach Istanbul musste.
    Ich komme allmählich zum Ende meiner Geschichte. Noch ein paar Passagen müssen in den Text hineinkopiert werden, und nach einigen kleineren Korrekturen ist alles getan. Sowieso werde ich meinen Laptop ausschalten müssen, sobald wir zum Landeanflug ansetzen.
    Im Flugzeug herrscht auf einmal Betriebsamkeit. Wer geschlafen und danach ausgiebig gefrühstückt hat, dem steht nun der Sinn danach, ein wenig herumzugehen. Während die meisten glänzende Augen haben, sind die meinen vermutlich ganz rot. Auf den Bildschirmen ist angezeigt, dass wir den Ozean hinter uns haben und nun über dem Festland fliegen, was aus einem mir unerfindlichen Grund bei vielen Leuten eine Art Erleichterung hervorruft.
    Die Stewardessen verteilen Einreiseformulare, die gleich ausgefüllt werden müssen; dabei hatte ich im amerikanischen Konsulat in Istanbul schon sämtliche Angaben gemacht, da man auch als Inhaber eines grünen Passes für die USA ein Visum braucht.
    Nach einer Ansage des Piloten stelle ich meine Uhr um. In Boston ist es zwei Uhr nachmittags.
    Ich saß mit einem Glas Tee auf dem Balkon und übersetzte. Damit der Wind mir nicht die Seiten verblies, hatte ich das Buch mit einem schönen grünen Kiesel mit blauen Einsprengseln beschwert.
    Manchmal gönnte ich mir eine Pause und las im Internet über Bodrum. Zu meiner Schande musste ich nämlich gestehen, dass ich trotz meiner vielen Aufenthalte dort noch nie das getan hatte, was jeder Tourist eigentlich als Erstes unternahm, nämlich die Kreuzritterburg zu besichtigen. In der Burg war ein Unterwassermuseum untergebracht, das ich auch schon lange sehen wollte. Das Prunkstück darin war das sogenannte »Schiff von Uluburun«, ein fünfzehn Meter langes, aus Zedernholz gefertigtes Segelschiff aus der Bronzezeit.
    Das 1984 entdeckte Schiff war sage und schreibe vierzehn Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung gesunken, und die geborgenen Fundstücke zeugten davon, was für einen überraschend regen Seehandel es zur damaligen Zeit schon gegeben hatte. An Bord fanden sich blaue und türkisfarbene Glaszylinderbarren, Ebenholz, Elfenbein, Nilpferdzähne, Muscheln, vermutlich zur Herstellung von Musikinstrumenten verwendete Schildkrötenpanzer, Töpferwaren, Metalle und sogar Straußeneier. Es waren zypriotische Öllampen dabei, kanaanitischer Schmuck, silberne Fuß- und Halsketten, goldene Trinkgefäße, Perlen aus Achat, Gold, Fayence und Glas, zwei entenförmige Kosmetikbehälter mit beweglichen Flügeln als Deckel und ein trompetenartiges Instrument aus Nilpferdzahn. Das alles war in der Burg ausgestellt, und ich musste dort endlich einmal hin.
    In der Nacht träumte ich von einem Zwerg, der auf einem untergehenden Schiff Trompete spielte.
    Am nächsten Morgen stieg ich den mit riesigen, verwitterten Steinen gepflasterten Weg zu der Burg hinauf und betrat das Museum, in dem tatsächlich eine Art Meeresatmosphäre herrschte. Ich gesellte mich zu einer Gruppe Touristen, die gerade herumgeführt wurde.
    Plötzlich fragte ich mich: In welchem Zustand mochte das Wrack der Struma sein? Ob es sich im Schwarzen Meer längst aufgelöst hatte? Ich hatte ein 3300 Jahre altes Wrack vor Augen, wie sollte da von einem Schiff, das vor 59 Jahren gesunken war, nichts übriggeblieben sein? Konnte man zur Bergung der Struma nicht eine Kampagne in die Wege leiten? Ich sah vor meinen Augen eine ganz neue Aufgabe erstehen.
    Als die Führung beendet war, fragte ich den jungen Mann, ob er von der Struma schon mal etwas gehört hatte.
    »Natürlich, die ist jedem ein Begriff, der mit dem Meer zu tun hat.«
    »Wenn dieses Schiff hier nach ein paar Tausend Jahren gefunden worden ist, könnte man da nicht auch die Struma finden?«
    »Klar.«
    »Und warum taucht dann niemand danach?«
    »Das ist schon geschehen, haben Sie nicht davon gehört? Es hat in der Zeitung gestanden.
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